Rz. 21

Zivilrechtlich ist zwischen dem Pflichtteilsrecht und dem erst mit dem Ableben des Erblassers entstehenden Pflichtteilsanspruch zu unterscheiden. § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 ErbStG meint ausschließlich den Pflichtteilsanspruch, also nicht das abstrakte Pflichtteilsrecht als Anwartschaft, bei Ableben des Erblassers einen Pflichtteilsanspruch zu erlangen. Einerseits wird der reguläre Pflichtteilsanspruch von Eltern, Ehegatten, Lebenspartnern oder Abkömmlingen von dieser Vorschrift erfasst.[10] § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 ErbStG regelt aber nicht nur den Pflichtteilsanspruch desjenigen, der vollständig von der Erbfolge ausgeschlossen worden ist, sondern auch den Pflichtteilsrestanspruch nach den §§ 2305, 2307 BGB.[11] Das betrifft die Fälle,[12] in denen einem Pflichtteilsberechtigten weniger als der Pflichtteil zugewandt wurde, und er daher Auffüllung bis zur Höhe des Pflichtteils verlangen kann.

 

Rz. 22

Schließlich besteuert § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 ErbStG auch den Pflichtteilsergänzungsanspruch.[13] Ein solcher Pflichtteilsergänzungsanspruch nach §§ 2325 ff. BGB steht einem Pflichtteilsberechtigten zu, wenn der Erblasser innerhalb einer Frist von zehn Jahren (vor dem Erbfall) Schenkungen getätigt hat, die nach den §§ 2325 ff. BGB dem Nachlass für die Pflichtteilsberechnung zeitlich abschmelzend wieder hinzuzurechnen sind. Crezelius[14] und Kapp/Ebeling[15] vertreten dagegen die Meinung, der Pflichtteilsergänzungsanspruch unterfalle nicht dem § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 ErbStG. Insoweit liege eine Lücke vor. Sie stützen sich auf den – zutreffenden – zivilrechtlichen Ausgangspunkt, wonach der Pflichtteilsanspruch und der Pflichtteilsergänzungsanspruch zwei unterschiedliche Ansprüche seien (siehe § 7 Rdn 1 ff.) und der Pflichtteilsergänzungsanspruch nicht auf Wertteilhabe am Nachlass selbst gerichtet sei, sondern dem Ausgleich von vorherigen Schenkungen diene. Dieser Ansatz hat zwar einiges für sich, insbesondere seine dogmatische Übereinstimmung mit dem Zivilrecht. Dennoch ist dieser Meinung nicht zu folgen. § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 ErbStG bezieht sich ausdrücklich auf die §§ 2303 ff. BGB und nimmt damit auf das gesamte Recht der Pflichtteilsansprüche Bezug. Davon sind auch die Normen zum Pflichtteilsergänzungsanspruch gem. §§ 2325 ff. BGB erfasst. Im Übrigen entspricht die Funktion des Pflichtteilsergänzungsanspruchs der des einfachen Pflichtteilsanspruchs. Beide dienen der Sicherung der Mindestwertteilhabe eines übergangenen besonders nahen Angehörigen. Eine unterschiedliche steuerliche Behandlung von Pflichtteilsanspruch und Pflichtteilsergänzungsanspruch ist weder vom Gesetzeswortlaut noch von dessen Zweck gerechtfertigt.

 

Rz. 23

 

Praxishinweis

Von der Erbschaftsbesteuerung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 ErbStG werden der Pflichtteilsanspruch und der Pflichtteilsergänzungsanspruch in all ihren zivilrechtlichen Ausprägungen erfasst. Die Steuer kann daher nicht vermieden werden, indem der Pflichtteilsanspruch durch gezielte Gestaltung (z.B. lebzeitige Schenkung unter Nießbrauchsvorbehalt) durch einen Pflichtteilsergänzungsanspruch ersetzt wird. Da aber eine Entscheidung des BFH zur Steuerbarkeit des Pflichtteilsergänzungsanspruchs noch aussteht, kann es im Einzelfall angezeigt sein, unter Verweis auf die Mindermeinung Erbschaftsteuerbescheide mit einem Einspruch zu belegen.

 

Rz. 24

Der Pflichtteilsanspruch ist stets auf Geld gerichtet und beträgt die Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils. Der Wert des Erbteils und der sich daraus errechnende Pflichtteilsanspruch sind nach Verkehrswerten zu ermitteln.[16] Die steuerlichen Wertermittlungsgrundsätze und Bewertungsprivilegien bestimmter Vermögensarten gelten daher nicht. Zuwendungen, die der Erblasser bereits zu Lebzeiten unter Anrechnung auf den Pflichtteil geleistet hatte, mindern nach Maßgabe der §§ 2315 ff. BGB den Pflichtteilsanspruch. Verbindlichkeiten sind in Höhe ihres Verkehrswertes in Abzug zu bringen.[17] Das Erbschaftsteuerrecht richtet sich insoweit vollständig nach dem Zivilrecht. Es kann daher auf die Ausführungen im zivilrechtlichen Teil (siehe § 5) verwiesen werden.

[10] Vgl. Wälzholz, in: Viskorf/Schuck/Wälzholz, ErbStG, § 3 Rn 146 ff.; Hils, in: Tiedtke, ErbStG, § 3 Rn 32.
[11] Vgl. Wälzholz, in: Viskorf/Schuck/Wälzholz, ErbStG, § 3 Rn 150.
[12] Vgl. zu den zivilrechtliche Besonderheiten § 4.
[13] Wie hier Moench/Kien-Hümbert, DStR 1991, 1137 ff.; ebenso wohl Moench, in: Moench/Weinmann, ErbStG, § 3 Rn 117; Hartmann, ZErb 2004, 179, 181 f.; Uricher, in: Daragan/Halaczinsky/Riedel, Praxiskommentar ErbStG und BewG, § 3 ErbStG Rn 55. a.A. Crezelius, ZErb 2002, 142, 148; Crezelius, Unternehmenserbrecht, Rn 109. Vgl. aus zivilrechtlicher Sicht Lenz/Riedel, ZErb 2002, 4 ff. sowie Tanck, ZErb 2000, 3 ff.; Tanck, ZErb 2001, 194.
[14] Crezelius, ZErb 2002, 142, 148; ders., Unternehmenserbrecht, Rn 109.
[15] Kapp/Ebeling, ErbStG, § 3 Rn 226; ebenso nun Fischer, in: Fischer/Jüptner/Pahlke, ErbStG, § 3 Rn 424; vgl. auch KÖSDI 2011, 17544.
[16] Moench, in: Moench/Weinmann...

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