Rz. 1463

Rechtsgrundlage für die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber bilden vorrangig die Bestimmungen des Arbeitsvertrages und die sie ergänzenden gesetzlichen Regelungen. Welche gesetzlichen Regelungen anzuwenden sind, bestimmt sich zunächst nach der Rechtsnatur des Arbeitgebers. Ist dieser Kaufmann, sind die §§ 59 ff. HGB und die allgemeinen arbeits- und dienstvertragsrechtlichen Regelungen anwendbar (Küstner/Thume/Castelletti, HdB-VertR, Bd. III, Kap. 2 Rn 7). Aber auch wenn der Arbeitgeber kein Kaufmann ist, sind die allgemeinen arbeits- und dienstvertraglichen Vorschriften (vgl. insb. §§ 611 ff., 662 ff., 675 BGB) aufgrund der Besonderheiten im Recht der angestellten Vertriebskräfte durch die zumindest entsprechend anwendbaren §§ 59 ff. HGB zu ergänzen (Staub/Brüggemann, HGB, § 84 Rn 28), soweit nicht ohnehin schon eine Rechtsangleichung stattgefunden hat (vgl. dazu MüKo/Thüsing, § 59 HGB Rn 7; vgl. zu den einzelnen Rechtsquellen MüKo/Thüsing, Vorbemerkung zu § 59 HGB Rn 16 ff.).

1. Pflichten der angestellten Vertriebskraft

a) Hauptpflichten

 

Rz. 1464

Gem. § 611 BGB ist derjenige, der die Verrichtung von Diensten zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste verpflichtet. Gem. § 613 S. 1 BGB hat der zur Dienstleistung Verpflichtete die Dienste im Zweifel in Person zu leisten.

 

Rz. 1465

Geschuldet ist das vertraglich Vereinbarte. Der Arbeitgeber ist aber innerhalb bestimmter Grenzen dazu befugt, dem Arbeitnehmer Weisungen hinsichtlich der Erfüllung seiner Arbeitspflichten zu erteilen und so die einzelnen Aufgaben einseitig zu konkretisieren (Hanau/Adomeit, G. I. 1, S. 185). Der Arbeitgeber kann die im Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig umschriebenen Pflichten des Arbeitnehmers nach Zeit, Ort und Art der Leistung näher bestimmen (BAG v. 9.3.2005, AP Nr. 167 zu § 611; BAG v. 28.10.1999, juris Rn 29 m.w.N.; BAG v. 25.10.1989, AP Nr. 36 zu § 611 BGB Direktionsrecht, zum Direktionsrecht allgemein vgl. MüKo/Glöge, § 611 BGB Rn 1016 ff.). Er kann sich aber vertraglich auch ein umfassendes Weisungsrecht vorbehalten, sodass er die Aufgaben des Arbeitnehmers grundsätzlich mittels einer Weisung einseitig ändern kann (BAG v. 27.3.1980, AP Nr. 26 zu § 611 BGB Direktionsrecht m. Anm. Löwisch).

 

Praxistipp

Der Vertrag sollte eine Klausel enthalten, die es dem Arbeitgeber ausdrücklich gestattet, die der angestellten Vertriebskraft rahmenmäßig übertragenen Aufgaben nach billigem Ermessen zu ändern.

 

Rz. 1466

Das Weisungsrecht des Arbeitgebers wird generell durch die gesetzlichen Regelungen begrenzt (BAG v. 27.3.1980, AP Nr. 26 zu § 611 BGB Direktionsrecht m. Anm. Löwisch). Eventuelle Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates (z.B. aus §§ 87 Abs. 1, 99 BetrVG; vgl. LAG Hamm v. 11.5.1979, DB 1979, 2042; LAG Hamm v. 18.8.1978, DB 1979, 2042; LAG Köln v. 24.10.1989, NZA 1990, 534) dürfen hierbei ebenfalls nicht übersehen werden (MüKo/Glöge, § 611 BGB Rn 1020). Außerdem muss eine an sich zulässige Weisung nach § 106 GewO einer Billigkeitskontrolle i.R.d. § 315 BGB standhalten, d.h. sie muss unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen angemessen sein (BAG v. 20.11.1984, AP Nr. 27 zu § 611 BGB Direktionsrecht).Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen verlangt daher eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. Dabei sind in die Abwägung alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Hierzu gehören die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, außervertragliche Vor- und Nachteile, Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie soziale Lebensverhältnisse, wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen (BAG v. 26.9.2012 – 10 AZR 416/11, juris Rn 33). Danach ist etwa eine Gebietsverkleinerung oder -änderung nur dann zulässig, wenn das bisherige Tätigkeitsfeld und die bisherige Einkommenssituation nicht erheblich verändert werden (Hunold, Subunternehmen und freie Mitarbeiter, C I 1, S. 24). Ebenso soll der Arbeitgeber berechtigt sein, der angestellten Vertriebskraft, der es über einen längeren Zeitraum nicht gelingt, einen Bestandskunden zur Erteilung von Aufträgen zu bewegen, den Bestandskunden zu entziehen und ihm anstelle dessen einen Neukunden zuzuordnen, wenn die Vertriebskraft eine hohe Fixvergütung erhält (LAG Köln v. 31.1.2022 – 2 Sa 486/21, EversOK Ls. 4). Eine Veränderung des Tätigkeitsbereichs der angestellten Vertriebskraft kann nur einvernehmlich herbeigeführt werden (BAG v. 25.8.2010 – 10 AZR 275/09, NJW 2011, 329). An eine unbillige Weisung des Arbeitgebers ist der Arbeitnehmer nicht gebunden. Unbillige Weisungen sind rechtsunwirksam und daher unverbindlich (BAG v. 14.6.2017 – 10 AZR 330/16 (A), juris Rn 58; a.A. BAG v. 22.2.2012 – 5 AZR 249/11, NJW 2012, 2605, wonach sich der Arbeitnehmer nicht über eine unbillige Ausübung des Direktionsrechts hinwegsetzen darf, sofern diese nicht aus and...

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