Rz. 1831

Mit dem Gesetz zur Änderung des AÜG und anderer Gesetze vom 21.2.2017 wurde der bisher auf verschiedene Normen im AÜG aufgeteilte Grundsatz des Schlechterstellungsverbotes (equal pay oder equal treatment), systematisch in § 8 AÜG zusammengefasst (BGBl I, 258).

§ 8 Abs. 1 AÜG regelt den Grundsatz der Gleichstellung von Leiharbeitnehmern mit vergleichbaren Stammarbeitnehmern. Nach diesem Grundsatz muss der Verleiher für die Zeit der Überlassung dem Leiharbeitnehmer grds. die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Stammarbeitnehmer geltenden Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgeltes gewähren. Entsprechend der bisherigen Rechtsprechung zur a.F. ist die "neue" equal pay Regelung als unmittelbare Anspruchsgrundlage auf gleiche Behandlung und Vergütung ausgestaltet. Ergänzend zur bisherigen Rechtslage wurde in § 8 Abs. 1 S. 2 AÜG eine Vermutungsregelung aufgenommen, die der Erleichterung der praktischen Umsetzung des Gleichstellungsgebotes dienen soll. Nach dieser Regelung liegt die Gleichstellung der Leiharbeitnehmer hinsichtlich des Arbeitsentgelts mit den Stammarbeitnehmern des Einsatzbetriebes vor, sofern dem Leiharbeitnehmer das tarifvertragliche Arbeitsentgelt, welches ein vergleichbarer Stammarbeitnehmer erhalten würde, gezahlt wird.

 

Rz. 1832

Die korrekte Beachtung dieser Verleiherpflicht (Gleichstellungsgebot) macht in der Praxis dennoch große Schwierigkeiten. Für jeden Kundeneinsatz muss der Verleiher ermitteln, welche vergleichbaren Konditionen beim Entleiher bestehen. Zwar hat der Entleiher gem. § 12 Abs. 1 S. 4 AÜG dem Verleiher diese Konditionen vertraglich zu benennen. Ebenso hat der Leiharbeitnehmer nach § 13 AÜG insoweit einen eigenen Auskunftsanspruch gegen den Entleiher. Gleichwohl bleibt die Recherche zumindest mühsam. Ohnehin lässt sich oft nur sehr schwierig feststellen, was die Gesamtheit der "wesentlichen Arbeitsbedingungen" ausmacht, von denen die Höhe des Arbeitsentgeltes nur einen Teil darstellt.

 

Rz. 1833

Der legale Ausweg ist die Unterwerfung des Leiharbeitsverhältnisses unter einen einschlägigen Tarifvertrag, § 8 Abs. 2 S. 1 AÜG (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 und 3 AÜG a.F.). Ein solcher Tarifvertrag kann abweichende Regelungen zulassen. Düwell (dbr 2011, 10, 11) geht mit Rücksicht auf Art. 5 Abs. 2 bis 4 der Leiharbeitsrichtlinie davon aus, dass die Bezugnahme auf einen Tarifvertrag nur zulässig sei, wenn der Verleiher den Leiharbeitsvertrag unbefristet abschließt; da aber alle bestehenden Zeitarbeit-Tarifverträge auch mehrfache Befristungsmöglichkeiten vorsehen, entspreche die deutsche Rechtslage nicht der Richtlinie. Das BAG hat für den bis zum 1.4.2017 geltenden § 9 Nr. 2 HS 3 AÜG a.F. entschieden, dass Arbeitgeber, die als Verleiher Leiharbeitnehmer an einen Dritten überlassen, vom equal pay Grundsatz kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung nur dann abweichen können, wenn für den Entleihzeitraum das einschlägige Tarifwerk für die Arbeitnehmerüberlassung aufgrund dieser Bezugnahme vollständig und nicht nur teilweise anwendbar ist (BAG v. 16.10.2019 – 4 AZR 66/18). Diese Entscheidung kann auch auf die neue Rechtslage und Nachfolgeregelung des § 8 Abs. 2 AÜG n.F. übertragen werden (str., BeckOK-ArbR/Motz, AÜG, § 8 Rn 66; Ulrici, BB 2020, 756), sodass zur Abbedingung des equal pay Grundsatzes eine vollständige arbeitsvertragliche Inbezugnahme auf den Tarifvertrag zwingend erforderlich ist. "Einschlägig" sind Tarifverträge der Zeitarbeitsbranche (insb. des Bundesarbeitgeberverbandes der Personaldienstleister/BAP, vor dessen Fusion 2011 mit dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister/AMP und des Interessenverbands Deutscher Zeitarbeitsunternehmen/iZG mit den Mitgliedsgewerkschaften des DGB). Nur im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages können auch nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung dieser tariflichen Regelungen vereinbaren und damit den equal pay Grundsatz aushebeln, § 8 Abs. 2 S. 3 AÜG (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 S. 3 AÜG a.F.) Diesen Punkt hat nun der EuGH in einem Vorlageverfahren des BAG (BAG v. 16.12.2020 – 5 AZR 143/19) dahingehend beantwortet, dass es im Grundsatz mit der Richtlinie vereinbar ist, Abweichungen vom equal pay Prinzip auf der Grundlage eines Tarifvertrags zu ermöglichen. Lassen jedoch die Sozialpartner durch einen Tarifvertrag Ungleichbehandlungen in Bezug auf wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zum Nachteil von Leiharbeitnehmern zu, muss dieser Tarifvertrag, um im Sinne der Richtlinie den "Gesamtschutz von Leiharbeitnehmern" zu wahren, den Leiharbeitnehmern "Ausgleichsvorteile" in Bezug auf wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gewähren, die geeignet sind, die Ungleichbehandlung auszugleichen (EuGH v. 15.12.2022 – C-311/21). Ob und inwieweit die bestehenden Tarifverträge für die Leiharbeit diesem Erfordernis nach Ausgleichsvorteilen zur Wahrung des Gesamtschutzes gerecht werden, wird nun in weiteren gerichtlichen Entscheidungen zu klären sein.

 

Rz. 1834

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