Rz. 93

Kein Versicherungsschutz besteht auch für Unfälle, die auf eine durch Trunkenheit entstandene Bewusstseinsstörung der VP zurückzuführen sind.[200] Dem VR obliegt der Nachweis des Ausschlusstatbestandes, also auch der Nachweis für das Vorliegen einer alkoholbedingten Bewusstseinsstörung. Er hat hierbei den Vollbeweis zu führen.[201] Ist dieser Nachweis gelungen, wird im Wege des Anscheinsbeweises von der alkoholbedingten Bewusstseinsstörung auf die (Mit-)Ursächlichkeit der Bewusstseinsstörung für den Unfall geschlossen.[202] Der VN muss im Sinne einer sekundären Darlegungslast Informationen aus seiner Sphäre offenlegen.[203]

 

Rz. 94

Im Straßenverkehr orientierten sich die Gerichte streng an der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur absoluten Fahruntüchtigkeit. Ab Erreichen einer BAK von 1,1 Promille ist eine absolute Fahruntüchtigkeit anzunehmen. Soweit diese Promillegrenze erreicht ist, nimmt die Rechtsprechung auch im Versicherungsrecht stets ohne Rücksicht auf die Besonderheiten des Einzelfalles und ohne Zulassung eines Gegenbeweises absolute Fahruntüchtigkeit und damit eine Bewusstseinsstörung im Sinne des Risikoausschlusses an.[204] Es genügt, wenn sich der VR den Inhalt der strafrechtlichen Ermittlungsakte mit den Feststellungen zur BAK zu eigen macht.[205]

 

Rz. 95

Liegt der Alkoholisierungsgrad unter 1,1 Promille, müssen äußere Anzeichen für eine Fahruntüchtigkeit vorliegen, um den Ausschlussgrund bejahen zu können. Die Feststellung einer relativen Fahruntüchtigkeit muss individuell im Wege des Vollbeweises geführt werden. Diese liegt nur vor, wenn das zum Schaden führende Verhalten der VP den Rückschluss auf eine Ausfallerscheinung (z.B. Fahren in Schlangenlinien) zulässt, die gerade auf einer alkoholbedingten Bewusstseinsstörung beruht.[206] Ergeben sich keine äußeren Anzeichen in Form von Ausfallerscheinungen, müssen Fahrfehler festgestellt werden, die typischerweise auf Alkoholgenuss zurückzuführen sind.[207] Dem VR kommt die Erleichterung des Anscheinsbeweises erst wieder bei der Frage der Ursächlichkeit von Fahruntüchtigkeit und Unfall zugute.

 

Rz. 96

Bei einer unter 0,8 Promille liegenden BAK ist im Einzelfall zu entscheiden, ob die Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit der VP derart herabgesetzt war, dass er der konkreten Gefahrenlage nicht gewachsen war. Je geringer der festgestellte Promillewert ist, desto höhere Anforderungen sind an das Vorliegen von Ausfallerscheinungen zu stellen. Zu beachten ist dabei auch, dass nicht jede Beeinträchtigung durch Alkohol, die zu einem Unfall führt, welchen ein Nüchterner vermieden hätte, den Versicherungsschutz ausschließt.[208] Es muss ein Kausalzusammenhang zwischen Bewusstseinsstörung und Unfall vorliegen.

Die Bewusstseinsstörung ist für den Unfall nicht kausal, wenn er sich auch bei einer niedrigeren alkoholischen Beeinflussung ohne Bewusstseinsstörung ereignet hätte.[209] Der Risikoausschluss greift schon bei Mitursächlichkeit der Bewusstseinsstörung ("Alles-oder-Nichts-Prinzip").[210]

 

Rz. 97

Bei anderen Verkehrsteilnehmern werden teilweise andere Werte für eine absolute Fahruntüchtigkeit angenommen (z.B. bei Radfahrern ab Erreichen einer BAK von 1,6 Promille unwiderleglich).[211] Entscheidend ist aber auch hier, dass letztlich im Einzelfall auf die Ausfallerscheinungen und die Mitursächlichkeit abzustellen ist.

 

Rz. 98

Bei Unfällen außerhalb des Straßenverkehrs ist eine streng fallbezogene Betrachtungsweise erforderlich. Feste Grenzwerte existieren nicht. Tendenziell verlangt die Rechtsprechung einen erheblichen Grad der Alkoholisierung, der in der Zusammenschau mit den individuellen Verhältnissen und Verhaltensweisen der VP auf eine alkoholbedingte Bewusstseinsstörung schließen lässt. Es ist konkret zu klären, ob die Aufnahme- und Reaktionsfähigkeit der VP so herabgesetzt war, dass die VP die jeweilige Gefahrenlage nicht mehr beherrschen konnte.

[200] Beispiele bei Naumann/Brinkmann, § 4 Rn 27 ff.
[201] BGH v. 10.10.1990 – IV ZR 231/89, VersR 1990, 1343.
[203] OLG Hamburg v. 25.4.2007 – 9 U 23/07, r+s 2007, 386.
[204] Vgl. etwa OLG Zweibrücken v. 12.11.1993 – 1 U 126/92, VersR 1994, 974; kritisch zur Gleichsetzung von absoluter Fahruntüchtigkeit und alkoholbedingter Bewusstseinsstörung Prölss/Martin-Knappmann, AUB 2008 Nr. 5 Rn 19 m.w.N.
[206] BGH v. 15.6.1988 – IVa ZR 8/87, VersR 1988, 950.
[208] BGH v. 10.10.1990 – IV ZR 231/89, VersR 1990, 1343, 1344.
[209] OLG Hamm v. 11.2.1987 – 20 U 216/86, r+s, 1987, 207.
[210] Kloth, K Rn 19.
[211] Vgl. OLG Schleswig v. 18.3.1992 – 9 U 156/88, r+s 1992, 394; OLG Hamm v. 15.10.1997 – 20 U 89/97, r+s 1998, 216.

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