Rz. 128

Wenn die vorgenannten Abfindungsbeschränkungen (siehe Rdn 114 ff.) bei der Bewertung unberücksichtigt blieben, ergäbe sich für den Erben das Risiko, dass einerseits im Rahmen der Pflichtteilsberechnung der volle Wert der Beteiligung in Ansatz gebracht würde, andererseits aber im Falle eines späteren Ausscheidens aus der Gesellschaft lediglich der (deutlich geringere) Abfindungsbetrag realisiert werden könnte.[305] Eine eindeutige Rechtsprechung zu dieser Problematik ist bislang nicht zu erkennen, in der Literatur ist das Problem heftig umstritten.[306]

 

Rz. 129

Nach Ulmer ist zunächst vom Wert des Gesellschaftsanteils auszugehen. Dieser soll gegebenenfalls später, falls es zum Zwangsverkauf des Anteils wegen der Pflichtteilslast kommt, zu korrigieren sein.[307] Hierin läge aber ein Verstoß gegen das in § 2311 BGB verankerte Stichtagsprinzip.[308] Daher ist von vornherein ein endgültiger Wert festzustellen.[309] Dies könnte der Wert des Gesellschaftsanteils[310] oder aber auch der Klauselwert[311] sein.

 

Rz. 130

Auch der BGH[312] hat sich jedenfalls für die Annahme eines endgültigen Werts entschieden. Allerdings soll es sich dabei um einen "Zwischenwert" handeln, bei dem zunächst der Wert des Gesellschaftsanteils der Berechnung zugrunde zu legen ist. Anschließend wird die Wahrscheinlichkeit, dass es tatsächlich zu einem Mindererlös aufgrund der Abfindungsklausel kommt, als wertmindernder Faktor berücksichtigt. Hierbei ist festzuhalten, dass die Wertminderung eine reine Ermessensfrage ist und nach Ansicht des BGH[313] dem Richter überlassen bleibt.[314] Nach der Rechtsprechung soll die Anpassung bei Buchwertklauseln nach Treu und Glauben erfolgen.[315] In der Praxis stellt sich hier aber das Problem, wie der Pflichtteilsanspruch und somit auch die den Gesellschafter-Nachfolger treffende Pflichtteilslast konkret zu beziffern oder gar im Voraus zu berechnen ist.

 

Rz. 131

Im Schrifttum zum Zugewinnausgleich[316] wird teilweise vertreten, den verschiedenen Szenarien, in denen es zu einem Ausscheiden aus der Gesellschaft zum Klauselwert kommt, müsse jeweils eine "Eintrittswahrscheinlichkeit" zugeordnet werden. Je nach Wahrscheinlichkeit soll der Verkehrswert bis in die Nähe des Klauselwerts rücken können. Diese Ansicht ist nicht ohne Widerspruch geblieben[317] und wurde auch seitens des BGH ausdrücklich abgelehnt.[318] Dieser ablehnenden Haltung ist zuzustimmen, da die Zuweisung bestimmter Wahrscheinlichkeiten praktisch gar nicht möglich ist. Der Eintritt bestimmter Szenarien hängt von unzähligen – aus der Sicht des Stichtages – in der Zukunft liegenden Bedingungen ab, über deren Eintritt zum Zeitpunkt der Bewertung bestenfalls spekuliert werden kann.[319]

 

Rz. 132

Nach Auffassung des BGH[320] ist die Erforderlichkeit einer Abweichung vom Vollwert im Wege tatrichterlicher Würdigung nach der Verkehrsanschauung zu beurteilen. Das erscheint auf den ersten Blick durchaus sinnvoll. Denn jedenfalls macht das Abstellen auf die Verkehrsanschauung jegliche Spekulationen über die Wahrscheinlichkeit bestimmter Entwicklungen überflüssig.

 

Rz. 133

Allerdings führt dies zu der nicht minder schwer zu beurteilenden Folgefrage, wie die für die Wertminderung zugrunde zu legende Verkehrsanschauung eigentlich bestimmt werden soll. Dies gilt umso mehr, als Piltz/Wissmann[321] zu Recht feststellen: "Eine Verkehrsanschauung zu dieser Frage gibt es nicht, weil es für unveräußerliche Beteiligungen keinen Geschäftsverkehr gibt, in dessen Rahmen sie sich bilden könnte." Denn tatsächlich ist der Gesellschaftsanteil im Zeitpunkt des Eingreifens der Abfindungsklausel unveräußerlich. Hätte der ausscheidende Gesellschafter eine Möglichkeit, seinen Anteil (frei) zu veräußern, würde sich die Frage der Abfindung zum Klauselwert gar nicht stellen. Eine Ableitung des Betrages der Wertminderung aus den Vorgängen am Markt kommt dann also nicht (mehr) in Betracht.[322]

 

Rz. 134

Mithin muss die Analyse nicht das Szenario der akuten Hinauskündigung/Einziehung/Abfindung in den Fokus nehmen, sondern sich vielmehr darauf, wie sich Abfindungsbeschränkungen, Einziehungsmöglichkeiten und Hinauskündigungsklauseln bei einem möglichen Verkauf des Gesellschaftsanteils (ohne akute "Stress-Situation") auf den zu erzielenden Preis auswirken. Diese Frage kann anhand der Verkehrsanschauung beantwortet werden, da die Veräußerung von mit derartigen Risiken belasteten Anteilen in der Realität tagtäglich vorkommt.

 

Rz. 135

In zwei konkreten Entscheidungen zum Zugewinnausgleich wurden von den jeweils zur Entscheidung berufenen Gerichten Wertabschläge von ca. 20 % für angemessen gehalten.[323] Diese Größenordnung kann aber auf Bewertungen für Zwecke der Pflichtteilsberechnung nicht ohne weiteres übertragen werden. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass der Erbe die Beteiligung fortführt bzw. dies aus der Perspektive eines idealen Erben wirtschaftlich vernünftig wäre:

 

Rz. 136

Denn der Abschlag von 20 % bezieht sich auf den möglichen Verkauf des Anteils an einen fremden Erwerber, f...

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