Rz. 87

Schon zu Zeiten des Papier-EB war es herrschende Rechtsprechung, dass das Zustellungsdatum das Kenntnisnahmedatum und nicht das Eingangsdatum oder das Datum der Einlegung ins Anwaltspostfach bei Gericht[43] ist.

 

Rz. 88

Bei der Zustellung elektronischer Dokumente, bei denen der Nachweis der Zustellung durch elektronisches Empfangsbekenntnis erfolgt,[44] kommt es daher nicht darauf an, wann das zuzustellende Dokument in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist (= eingegangen ist), sondern darauf, wann der Zustellungsadressat das Dokument tatsächlich und empfangsbereit entgegengenommen hat.[45]

 

Rz. 89

 

Beispiel

Ein Urteil wird nebst eEB-Anforderung durch das Gericht in das beA eines Rechtsanwalts übermittelt; die Eingangsbestätigung des Gerichts weist den 14.2.2022 aus. Der Rechtsanwalt befindet sich an diesem Tag auf Geschäftsreise und kommt erst am Mittwoch, den 16.2.2022, wieder in die Kanzlei. Er nimmt das Urteil am 16.2.2022 zur Kenntnis und trägt den 16.2.2022 als Datum in das eEB ein und sendet das eEB formgerecht an das Gericht zurück, §§ 173 Abs. 3 ZPO, 14 S. 1 BORA.

Zustellungsdatum: 16.2.2022

 
Fristbeginn rechnerisch

17.2.2022, 00:00 Uhr

§§ 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1 BGB
Ablauf Berufungsfrist

(ein Monat, § 517 ZPO): 16.3.2022, 23:59:59 Uhr (um 24:00 Uhr ist die Frist abgelaufen)[46]

§§ 222 Abs. 1 ZPO, 188 Abs. 2 BGB
 

Rz. 90

Der BGH verlangt im Übrigen, dass dann, wenn das Datum der Kenntnisnahme vom Eingangsdatum abweicht, Anwälte sicherzustellen haben, dass dieses abweichende Datum als Zustellungsdatum und Fristbeginn geführt wird:

Zitat

"Weicht die Kenntnisnahme des Empfangs durch den Rechtsanwalt vom Datum des Posteingangs ab und trägt der Rechtsanwalt dieses Datum unter seiner Unterschrift auf dem Empfangsbekenntnis ein, so hat er selbst sicherzustellen, daß dieses abweichende Datum in der Kanzlei als Zustellungsdatum und Fristbeginn geführt wird" (Leitsatz der Redaktion).[47]

[43] BFH, Beschl. v. 21.2.2007 – VII B 84/06 (insbesondere Leitsatz 3), NJW-RR 2007, 1001.
[44] § 174 Abs. 4 ZPO in der bis 31.12.2021 geltenden Fassung sowie § 173 Abs. 3 ZPO in der seit 1.1.2022 geltenden Fassung; wie schon bisher bei Zustellung von Schriftstücken.
[45] OVG Saarlouis, Beschl. v. 10.3.2022 – 1 A 267/20, NVwZ 2022, 658; so auch bereits OVG Saarlouis, Beschl. v. 27.9.2019 – 1 D 155/19, NJW 2019, 3664 = NVwZ 2020, 330; ebenso: OVG Schleswig, Beschl. v. 23.1.2020 – 4 LA 211/18, BeckRS 2020, 579.
[46] BGH v. 8.5.2007 – VI ZB 74/06, NJW 2007, 2045 (24:00 = 00.00 Uhr; 00:00 Uhr ist zu spät; es gibt keine "logische Sekunde" – auch keine "juristische"; ebenso: BGH v. 19.1.2016 – XI ZB 14/15 Rn 12, BeckRS 2016, 4976.
[47] BGH, Beschl. v. 15.7.1998 – XII ZB 37/98, NJW-RR 1998, 1442.

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