Rz. 1

Das Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften[1] hat erhebliche Änderungen/Verschiebungen im Zustellungsrecht zum 1.1.2022 mit sich gebracht. Inhalte aus dem bis zum 31.12.2021 geltenden § 174 ZPO (Zustellung gegen Empfangsbekenntnis) finden sich in den §§ 173 und 175 ZPO wieder. So greift § 173 ZPO die bis 31.12.2021 geltende Regelung des § 174 Abs. 3 u. 4 ZPO auf.[2] Die Zustellung via Gerichtsvollzieher wurde an die Anforderungen des elektronischen Rechtsverkehrs angepasst; neu aufgenommen wurde die Möglichkeit der Zustellung elektronischer Dokumente durch den Gerichtsvollzieher in § 193a ZPO. § 173 ZPO in der bis 31.12.2021 geltenden Fassung wurde zu § 174 ZPO und der bis 31.12.2021 geltende § 174 ZPO aufgehoben. Im nachfolgenden Kapitel wird nicht das gesamte Zustellungsrecht gem. §§ 166 ff. ZPO behandelt, sondern der Fokus auf die möglichen Zustellungen via beA sowie die Zustellung von Schriftstücken gegen Empfangsbekenntnis gelegt. Letzteres, weil Gerichte auch heutzutage noch vielfach – gerade in Zivilprozessen – in Papierform zustellen.

 

Rz. 2

Das ursprüngliche Vorhaben des Gesetzgebers, die Zustellung durch automatisierte Eingangsbestätigung nachzuweisen und eine Zustellungsfiktion ab dem dritten Werktag nach dem auf der Eingangsbestätigung ausgewiesenen Tag anzunehmen, wurde im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens nach der geänderten Beschlussfassung des Rechtsausschusses nicht mehr weiter verfolgt.[3] Nach Bekräftigung des Gesetzgebers hat sich die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis in der Vergangenheit bewährt; sie sollte daher auch für elektronische Zustellungen beibehalten werden.[4] Dies gilt allerdings nicht für Zustellungen im Parteibetrieb durch den Gerichtsvollzieher; hier greift die Zustellungsfiktion des § 193a Abs. 2 ZPO, siehe dazu auch Rdn 252 in diesem Kapitel.

 

Rz. 3

Die Voraussetzungen für eine wirksame Zustellung gegen Empfangsbekenntnis waren und sind:

Übermittlung eines oder mehrerer Dokumente,
an eine Person aus dem Personenkreis des § 173 Abs. 2 ZPO,
die identifizierbar ist,[5]
erkennbarer Zustellungswille des Sendenden,[6]
Kenntnisnahme und Empfangsbereitschaft des Empfangenden,[7]
Bekenntnis des Empfangs,[8]
in der geforderten Form.[9]
 

Rz. 4

Ein Empfangsbekenntnis erbringt als Privaturkunde i.S.d. § 416 ZPO den Beweis sowohl für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt als auch den Beweis für den Zeitpunkt der Entgegennahme durch den Unterzeichner und damit das Datum der Zustellung.[10] Allerdings muss bei dieser Entscheidung erwähnt werden, dass es sich um eine Zustellung in ein anwaltliches Gerichtspostfach handelte und der Anwalt, an den zugestellt wurde, glaubhaft machen konnte, dass es in der Vergangenheit gehäuft zu fehlerhaften Zuordnungen kam und er somit schon des Öfteren Papierpost erst sehr spät erhalten hatte.

 

Rz. 5

Ob die Angabe eines Datums auf dem Empfangsbekenntnis Voraussetzung für eine wirksame Zustellung ist, war lange Zeit umstritten,[11] bis der BGH nach dem Zustellungsrechtsreformgesetz zu § 174 ZPO (seit 1.1.2022: § 175 ZPO)[12] entschied, dass die Zustellung auch ohne Datumsangabe wirksam sein kann; das OLG München[13] geht gar so weit, dann auf das Datum der Rückleitung des Empfangsbekenntnisses und somit dem Eingangsstempel bei Gericht als Zustellungsdatum abzustellen. Für Zustellungen gem. § 175 ZPO in Papierform (Briefpost oder Fax) bleibt diese Rechtsprechung anwendbar. Ein Empfangsbekenntnis kann elektronisch aus dem beA heraus mittels Strukturdatensatz jedoch technisch nicht abgegeben werden, wenn ein Datum fehlt. Somit hilft das beA durch entsprechende technische Einstellungen, diesen Fehler, Empfangsbekenntnisse gänzlich ohne Datum abzugeben, zu vermeiden.

[1] G v. 5.10.2021, BGBl I, 4607.
[2] BT-Drucks 19/28339, 34.
[3] BT-Drucks 17/13948, 7 Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses vom 12.6.2013.
[4] BT-Drucks 17/13948, 34.
[5] BT-Drucks 19/28339, 36.
[6] BGH VersR 2001, 606; BGH NJW 1956, 1878; Zöller/Stöber, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 173 Rn 5; MüKo-ZPO/Häublein, 5. Aufl., § 174 Rn 1.
[7] Nur beispielhaft für viele: BVerfG NJW 2001, 1563; BGH, Urt. v. 14.9.2011 - XII ZR 168/09, NJW 2011, 3581 Rn 16; BGH, Beschl. v. 19.4.2012 – IX ZB 303/11, NJW 2012, 2117 Rn 6; BGH, Beschl. v. 13.1.2015, NJW-RR 2015, 953 Rn 7 sowie ­instruktiv BFH, Beschl. v. 21.2.2007 – VII B 84/06, NJW-RR 2007, 1001; BGH, Urt. v. 18.1.2006 – VIII ZR 114/05, NJW-Spezial 2006, 286 = NJW 2006, 1206; BGH. Beschl. v. 11.7.2005 – NotZ 12/05, NJW 2005, 3216 f.; BGH NJW 2003, 2460; BGH, Urt. v. 29.9.1954 – II ZR 292/53, NJW 1954, 1722; BGH, Urt. v. 7.7.1959 – VIII ZR 111/58, NJW 1959, 1871; OLG Hamm, Urt. v. 12.1.2010 – 4 U 193/09, NJW 2010, 3380.
[8] So auch Biallaß, "Der Umgang mit dem elektronischen Empfangsbekenntnis", NJW 2019, 3495.
[9] Siehe dazu § 174 Abs. 4 ZPO bis 31.12.2021; seit dem 1.1.2022 § 173 Abs. 3 ZPO.

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