Rz. 67

BGH, Urt. v. 29.6.2016:[63]

Zitat

Anfechtungsrecht des zum Erben berufenen Pflichtteilsberechtigten bei irriger Vorstellung, durch Ausschlagung des mit Beschränkungen versehenen Erbes seinen Pflichtteil zu verlieren

"Auch nach der Neufassung des § 2306 Abs. 1 BGB mit Wirkung zum 1.1.2010 kann ein zur Anfechtung der Annahme einer Erbschaft berechtigender Irrtum vorliegen, wenn der mit Beschwerungen als Erbe eingesetzte Pflichtteilsberechtigte irrig davon ausgeht, er dürfe die Erbschaft nicht ausschlagen, um seinen Anspruch auf den Pflichtteil nicht zu verlieren."

Aus dem Sachverhalt:

"… Nach den revisionsrechtlich bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts lag der Irrtum der Beklagten darin, dass sie fälschlich davon ausging, im Falle einer Ausschlagung [ihres beschwerten Erbteils] keine Teilhabe am Nachlass, insbesondere keinen Pflichtteilsanspruch, zu haben. …"

Aus den Gründen:

"Auf dieser Grundlage liegt ein beachtlicher Inhaltsirrtum gemäß § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB i.V.m. § 2306 Abs. 1 BGB vor. … Der Senat hat zu § 2306 Abs. 1 BGB a.F. entschieden, die irrige Vorstellung des unter Beschwerungen als Erbe eingesetzten Pflichtteilsberechtigten, er dürfe die Erbschaft nicht ausschlagen, um seinen Anspruch auf den Pflichtteil nicht zu verlieren, rechtfertige die Anfechtung einer auf dieser Vorstellung beruhenden Annahme einer Erbschaft (Senatsbeschluss vom 5.7.2006 a.a.O. Rn 22). … Auch nach der Neuregelung des § 2306 Abs. 1 BGB können sich zur Anfechtung wegen Inhaltsirrtums berechtigende Sachverhaltskonstellationen ergeben, auf die die Grundsätze des Senatsbeschlusses vom 5.7.2006 (IV ZB 39/05, BGHZ 168, 210) entsprechende Anwendung finden. Der mit Beschränkungen und Beschwerungen belastete Erbe – wie hier die Beklagte – wird im Regelfall nicht wissen, dass er die Erbschaft ausschlagen muss, um seinen Pflichtteilsanspruch nicht zu verlieren (Senatsbeschluss a.a.O. Rn 21 f.; Keim, MittBayNot 2010, 85, 87). Der Regelungsgehalt des § 2306 Abs. 1 BGB steht gerade im Gegensatz zu dem sonstigen Grundsatz, dass die Erbausschlagung zum Verlust jeder Nachlassbeteiligung führt (vgl. § 1953 Abs. 1 und 2 BGB). Vielmehr kommt es in derartigen Fällen – wie auch hier bei der Beklagten – in Betracht, dass ein mit Belastungen und Beschwerungen eingesetzter Erbe die Erbschaft nur deshalb nicht ausschlägt, weil er davon ausgeht, ansonsten keinen Pflichtteilsanspruch zu haben. …"

[63] BGH ErbR 2016, 575 = FamRZ 2016, 1583 = NJW 2016, 2954 = ZErb 2016, 262 = ZEV 2016, 574.

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