1. Historische Entwicklung

 

Rz. 1

Die private Berufsunfähigkeitsversicherung geht auf das 19. Jahrhundert zurück. Damals wurden erstmals als Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung private Versicherungen gegen das Risiko der "Invalidität" angeboten. Dies vor allem, um Versicherte bei fehlendem Schutz in der damals ebenfalls aufkommenden Sozialversicherung abzusichern. Seit 1964 sprechen die seinerzeit noch vom Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen genehmigten Musterbedingungen nicht mehr von "Invalidität" sondern von "Berufsunfähigkeit".[1]

 

Rz. 2

Neben der Berufsunfähigkeitsversicherung und der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung findet man heute am Markt weitere Versicherungen, die ähnliche Risiken abdecken, etwa die Ratenschutzversicherung, die teilweise im Zuge des Abschlusses eines Ratenkredits mit einer Einmalprämie abgeschlossen wird. Hier besteht in der Regel jedoch gerade kein Anspruch bei unbefristeter Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit, sondern nur, wenn die versicherte Person lediglich "vorübergehend" außerstande ist, ihre bisherige oder eine vergleichbare Tätigkeit auszuüben.[2]

[1] Neuhaus, A, I., Rn 8 f.
[2] BGH VersR 2013, 1397; BGH NJW 2014, 377: das Risiko einer dauerhaften Beeinträchtigung sei durch eine BUV abzusichern.

2. Berufsunfähigkeitsversicherung und Berufsunfähigkeitszusatzversicherung

 

Rz. 3

Zunächst gab es die Absicherung gegen Berufsunfähigkeit also nur als Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (BUZ),[3] die abhängig ist vom Bestand der Hauptversicherung. Erst seit den 1970er Jahren ist die selbstständige Berufsunfähigkeitsversicherung (BUV) aufgekommen.[4] Für die BUZ kommt im Lichte der Vertragsfreiheit eine Kombination mit jeglichen (in der Regel jedoch artverwandten) Versicherungen in Frage, insbesondere der Lebens- und Rentenversicherung, aber auch der Unfallversicherung.[5]

 

Rz. 4

Zu beachten ist, dass im Bereich der BUZ zwar die Hauptversicherung ohne die BUZ fortbestehen kann, nicht jedoch umgekehrt. Die BUZ kann nicht ohne Hauptversicherung – häufig eine Lebensversicherung – abgeschlossen oder unterhalten werden. Insofern kann die BUZ etwa durch Rücktritt beendet werden, die Lebensversicherung jedoch bestehen bleiben.[6]

[3] Im Folgenden wird lediglich von der "BUV" gesprochen, sollten sich nicht für die BUZ Besonderheiten ergeben.
[4] Vgl. die Veröffentlichungen des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen (VerBAV) 1974, 345.
[5] Vgl. Neuhaus, A, II., Rn 53 f.
[6] BGH VersR 2007, 484; BGH VersR 1989, 1249; zu weiteren Besonderheiten vgl. Rixecker in Beckmann/Matusche-Beckmann, § 46, Rn 12.

3. Bedeutung der Berufsunfähigkeitsversicherung

 

Rz. 5

Besondere Bedeutung dürfte die selbstständige BUV durch die Abschaffung der "Berufsunfähigkeitsrente" in der gesetzlichen Sozialversicherung erlangt haben. Seit der Gesetzesreform im Jahr 2000[7] gibt es lediglich noch eine Rente wegen voller oder teilweiser "Erwerbsunfähigkeit" für gesetzlich Versicherte (vgl. §§ 43, 241 SGB VI). Nur für vor 1961 Geborene wurde aus Gründen des Vertrauensschutzes eine gesetzliche Rente bei "Berufsunfähigkeit" beibehalten (vgl. § 240 SGB VI). Zur Absicherung des Lebensstandards ist daher eine private BUV vor allem für jüngere Geburtenjahrgänge relevant geworden.

 

Rz. 6

Die Begrifflichkeiten und die Systematik der gesetzlichen Rentenversicherung unterscheiden sich erheblich von denen des Privatversicherungsrechts, auch wenn beide eine Absicherung gegen gesundheitliche Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit bieten sollen. Insofern sind die Wertungen des Sozialversicherungsrechts nicht auf das private Versicherungsrecht übertragbar, obgleich in der Praxis evtl. tatsächliche Feststellungen aus den dortigen Verfahren, wie etwa Gutachten zum Gesundheitszustand, nicht unbeachtet gelassen werden können.[8] Teilweise erwerbsgemindert sind im Sozialversicherungsrecht Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die nicht zumindest drei Stunden täglich erwerbstätig sein können (§ 43 Abs. 2, Abs. 2 SGB VI). Berufsunfähig sind gemäß § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte (falls vor 1961 geboren), deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Für jüngere Versicherte ist also jegliches Kriterium der bisherigen Berufstätigkeit weggefallen; es geht nur noch darum, dass überhaupt irgendeine Erwerbstätigkeit ausgeübt werden kann.

 

Rz. 7

Die private BUV soll hingegen vor den Auswirkungen schützen, die entstehen, wenn der Versicherte wegen gesundheitlicher Schwierigkeiten nicht mehr in der Lage ist, seine bisherige Berufstätigkeit auszuüben. Sie soll also vor einem sozialen Abstieg aus gesundheitlichen Gründen schützen. Allerdings werden die Leistungen in den Bedingungen in der Regel auf max. 50 % des bisherigen Bruttoeinkommens aus der vormaligen Tätigkeit...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge