Rz. 38

Die Bestimmungen zum Verbrauchsgüterkauf gelten auch für Vertragsgestaltungen, durch welche eine Umgehung der die Verbraucher schützenden Bestimmungen beabsichtigt ist (§ 475 Abs. 1 S. 2 BGB). Eine Umgehung ist immer dann zu bejahen, wenn eine vom Gesetz verbotene Regelung bei gleicher Interessenlage durch eine andere rechtliche Gestaltung erreicht werden soll, die objektiv nur den Sinn haben kann, den gesetzlichen Verbotstatbestand zu vermeiden und ihm zu entgehen.[99] Eine Umgehungsabsicht ist nicht erforderlich.[100] Steht die Person, die nach der Vertragsurkunde Verkäufer sein soll, demjenigen persönlich sehr nahe, den das Vertragsrisiko trifft (z.B. Vater-Sohn-Beziehung), spricht eine Vermutung für ein verschleiertes Händler-Eigengeschäft.[101]

[99] BGH NJW-RR 2013, 687; BGH NJW 2005, 1645; Müller, NJW 2003, 1976.
[100] Müller, NJW 2003, 1975, 1976.
[101] OLG Hamm, Urt. v. 13.11.2014 – I-2 U 58/14, juris.

I. Beispiele für Umgehungen

 

Rz. 39

Unzulässige Umgehungsversuche[102] sind insbesondere:

Abreden über einzelne Tatbestandsmerkmale, die über zulässige Beschaffenheitsvereinbarungen hinaus gehen[103] (Beispiel: "Fahrzeuge zum Ausschlachten" bei einem Pkw, der zum Fahren genutzt werden soll),
der Verkauf eines Neufahrzeugs als gebraucht,[104]
der handschriftliche Zusatz "von privat" durch Kfz-Händler, der seine AGB beifügt,[105]
die Erklärung des Käufers, dass ihm der Zustand der Kaufsache bei Vertragsabschluss bekannt war (mit der Folge des Haftungsausschlusses nach § 442 BGB),[106]
offene oder verdeckte Vertragsstrafen für den Fall der Ausübung von Käuferrechten[107] (Beispiel: "Falls der Käufer aus Gewährleistungsrechten vorgeht, wird eine Garantiegebühr von 500 EUR fällig"),
Umformulierungen, Fiktionen[108] (z.B. "der Käufer ist damit einverstanden, ge­gen einen Preisnachlass von 500 EUR rechtlich wie ein Unternehmer behandelt zu werden"),
der systematische gewerbliche Verkauf über private Strohmänner,[109]
die Veranlassung des Käufers (etwa durch einen Preisnachlass), den Pkw nicht wie geplant als Verbraucher, sondern zum Schein für sein Unternehmen zu kaufen (vgl. Rdn 11),
der ausdrückliche Verzicht des Käufers auf Sachmängelansprüche,
die Abtretung von Sachmängelansprüchen an den Verkäufer oder eine dritte – dem Verkäufer nahestehende – Person.
 

Rz. 40

Stellt sich der Verbraucher dem Händler als Unternehmer vor, kommt es darauf an, ob der Händler dennoch die Verbrauchereigenschaft kannte oder kennen musste.[110] Täuscht der Käufer einen gewerblichen Verwendungszweck vor, kann er sich nicht auf § 13 BGB und § 475 BGB berufen (näher hierzu vgl. Rdn 10).[111]

Die Beschränkung eines Internetangebots auf Gewerbetreibende ist grundsätzlich zulässig. Dies setzt aber voraus, dass durch deutliche Hinweise an geeigneter Stelle der Ausschluss von Verträgen mit Verbrauchern sichergestellt ist und vom Nutzer eine Bestätigung der gewerblichen Nutzung verlangt wird, die nicht nur durch AGB erfolgen darf.[112]

 

Rz. 41

Ob bereits darin eine Umgehung gesehen werden kann, dass z.B. ein Rechtsanwalt seinen für die Praxis gekauften und genutzten Pkw zunächst an die Ehefrau verkauft (steuerpflichtige Privatentnahme) und diese den Pkw dann weiterveräußert, ist zweifelhaft.[113] Eine Umgehung wird jedenfalls für den Fall verneint, dass von der Ehefrau oder der anderen zwischengeschalteten Privatperson das Fahrzeug vor dem Verkauf wenigstens für eine Übergangszeit von sechs Monaten gehalten wird.[114] Zur Rechtsfolge einer Umgehung siehe unten (vgl. Rdn 48).

[102] Vgl. hierzu May, DAR 2004, 557; Steinmeister, SVR 2005, 204, 205 ff.; Staudinger/Matusche-Beckmann, § 475 Rn 44 ff.
[103] May, DAR 2004, 557, 558 ff.
[104] BGH NJW 2007, 674; Erman/Grunewald, § 475 Rn 10; a.A. Bamberger/Roth/Faust, § 475 Rn 8.
[105] AG München DAR 2004, 158.
[106] Bamberger/Roth/Faust, § 475 Rn 6.
[107] Himmelreich/Halm/Andreae, Kap. 16 Rn 231.
[108] AG Zeven DAR 2003, 379.
[109] BGH NJW 2005, 1039; BGH NJW 2007, 148 m. Anm. Bruns.
[110] Müller, NJW 2003, 1975, 1979 m.w.N.
[112] OLG Hamm BB 2017, 148.
[113] Verneinend: Reinking, DAR 2001, 8, 10; Staudinger/Matusche-Beckmann, § 475 Rn 50.
[114] Schimmel/Buhlmann/Winkelmann, Frankfurter Handbuch, S. 529 f.

II. Umgehung durch Agenturgeschäfte

 

Rz. 42

Agenturgeschäfte (vgl. § 17 Rdn 1 ff.), bei denen der Unternehmer nicht selbst als Verkäufer auftritt, sondern den Verkauf für einen Dritten (Verbraucher) vermittelt, führen dazu, dass die Regeln des Verbrauchgüterkaufs nicht anzuwenden sind, der Verkäufer also insbesondere die Beweislastumkehr des § 476 BGB nicht gegen sich gelten lassen muss und die Sachmängelhaftung ausschließen kann. Ein Aufblühen dieser Vertragsform wurde daher erwartet[115] und ist auch in der Praxis zu beobachten.

 

Rz. 43

Eine systematische Umstellung auf Agenturgeschäfte, insbesondere ohne Rücksicht auf die Interessen des einliefernden Kunden, wäre eine unzulässige Umgehung.[116] Solche konkreten Feststellungen werden sich in der Regel nicht treffen lassen. Eine zusätzliche gesetzliche Bestimmung, dass die Vorschr...

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