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Ehegatten, die unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben, eröffnet § 26 Abs. 1 S. 1 EStG das Verfahrenswahlrecht zwischen Zusammenveranlagung nach § 26b EStG und Einzelveranlagung[1] nach § 26a EStG. Wird das Wahlrecht zugunsten der Zusammenveranlagung nach § 26b EStG ausgeübt, so folgt als Automatismus, dass das Splittingverfahren gemäß § 32a Abs. 5 EStG (sogenanntes Vollsplitting) Anwendung findet.[2] Das Splittingverfahren behandelt die Eheleute so, als hätte jeder Ehegatte genau die Hälfte des zu versteuernden Einkommens bezogen,[3] das beide Eheleute insgesamt im Veranlagungszeitraum erzielt haben, gewährt jedem Ehegatten den tariflichen Grundfreibetrag von 10.908 EUR und ordnet an, jeden Ehegatten mit dem so ermittelten zu versteuernden Einkommen dem Einkommensteuertarif zu unterziehen. Andere Steuerpflichtige werden dagegen gemäß § 25 Abs. 1 EStG nach ihrem Einkommen im Veranlagungszeitraum einzeln veranlagt; sie sind nach dem eindeutigen Wortlaut des § 26 Abs. 1 S. 1 EStG, der insoweit zwanglos einen Gegenschluss erlaubt, von der Zusammenveranlagung ausgeschlossen. Der III. Senat des BFH hat nichtehelichen Lebensgemeinschaften die Zusammenveranlagung und damit die Anwendung des Vollsplitting in einem Grundsatzurteil vom 27.10.1989 verweigert[4] und dies in einem Beschl. v. 21.3.2012[5] sowie in einem Urt. v. 26.6.2014[6] und in einem Beschl. v. 26.4.2017[7] bestätigt. Das BVerfG hat die gegen das BFH-Urt. v. 26.6.2014 eingelegte Verfassungsbeschwerde mit Beschl. v. 19.8.2015 nicht zur Entscheidung angenommen.[8] Die ganz überwiegende Literatur hat sich dem BFH angeschlossen.[9]

[1] Bis einschließlich zum Veranlagungszeitraum 2012 (d.h. 31.12.2012, vgl. § 25 Abs. 1 EStG): "getrennte Veranlagung". Die geänderte Terminologie geht auf Art. 1 Nr. 14 und 15 des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 v. 1.11.2011 (BGBl I 2011, 2131) zurück. Die Übergangsvorschrift des § 52 Abs. 68 EStG ist dort in Art. 1 Nr. 33 Buchst. l) i.V.m. Art. 18 Abs. 2 enthalten.
[2] Neben dem Splitting-Verfahren bei Zusammenveranlagung bestehen die hier nicht weiter zu verfolgenden Fälle des so genannten Verwitwetensplitting gemäß § 32a Abs. 6 Nr. 1 EStG und des so genannten Sondersplitting gemäß § 32a Abs. 6 Nr. 2 EStG. Kritisch gegenüber der Akzessorietät der materiellen Ausgestaltung der Einkommensteuerbemessungsgrundlage von der Wahl des Verfahrens J. Lang, Bemessungsgrundlage, S. 640 f.
[3] "Bezogen" ist nicht i.S.v. "erzielt" zu verstehen, sondern umfasst auch den Fall, dass geldwerte Mittel, die ein Ehegatte erzielt hat, dem anderen zur Verfügung gestellt werden.
[4] BFH v. 27.10.1989, III R 205/82, BFHE 158, 431/436 = BStBl II 1990, 294/296 f.; BFH v. 18.4.1990, III R 126/86, BFHE 160, 516/521 = BStBl II 1990, 886/887; FG Berlin v. 23.11.1995, IV 285/94, rkr., EFG 1996, 545/546 f. In seinem Urt. v. 17.4.1998, VI R 16/97, BFHE 185, 475/478 = BStBl II 1998, 473/474 hat der VI. Senat des BFH auf Vorhaltungen der Literatur im Internationalen Privatrecht hinsichtlich fehlenden Methodenbewusstseins bei der Auslegung des Begriffs der "Ehegatten" in §§ 26 ff. EStG ausdrücklich entschieden, dass hierfür die zivilrechtlichen Vorschriften maßgeblich seien und keine "autonome Auslegung" vorzunehmen sei.
[8] BVerfG v. 19.8.2015, 2 BvR 1910/14.
[9] List, DStR 1997, 1101/1102; Bilsdorfer, Inf 1993, 298/299; Blümich/Ettlich, EStG, 128. Aufl. 2015, § 26 Rn 39; Bütelmann, StuW 2004, 131/134 f.; Hausmann/Hohloch/Bültmann, Das Recht der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, S. 495/503. Vgl. schon Eser/Philipowski, Die nichteheliche Lebensgemeinschaft, S. 61/67 ff.

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