a) Erbfälle bis zum 16.8.2015

 

Rz. 95

Führt die Verweisung in das ausländische Sachrecht, so ist dies nicht schrankenlos anwendbar.

 

Art. 6 EGBGB  

Eine Rechtsnorm eines anderen Staates ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist.

Art. 6 EGBGB will den "Kernbestand der inländischen Rechtsordnung" schützen.[145] Aus der Vorschrift selbst ergibt sich ihr Ausnahmecharakter.[146]

 

Rz. 96

Voraussetzung für die Anwendung des ordre puplic ist:

ein "eklatanter Verstoß" gegen die deutschen Wertvorstellungen; abzustellen ist auf das "Maß des Widerspruchs";
das Anwendungsergebnis muss im konkreten Fall unerträglich sein (Entscheidungserheblichkeit) und
der Sachverhalt muss eine Binnenbeziehung aufweisen ("Maß der Inlandsbeziehung").
 

Rz. 97

Grundlegende Ausführungen zum ordre public enthält die sog. Spanierentscheidung des Bundesverfassungsgerichts:[147]

Wird ein Verstoß gegen den ordre public bejaht, wird die Anwendung der ausländischen Rechtsnorm für den Einzelfall ausgeschlossen. Das übrige ausländische Recht bleibt dagegen anwendbar. Lücken müssen durch ein Ersatzrecht, wobei als letzte Möglichkeit deutsches Recht bleibt, geschlossen werden.

 

Rz. 98

Ein ausländischer ordre puplic ist grundsätzlich nicht zu beachten.[148]

 

Rz. 99

Im Erbrecht ist eine Anwendung des Art. 6 EGBGB vor allem bei folgenden Fällen denkbar:[149]

schwerste Fälle der Erbunwürdigkeit
Erbunfähigkeit der Religiösen[150]
Beschränkung der Testierfreiheit ausschließlich auf Zuwendungen an Organisationen der herrschenden Partei (in kommunistischen Erbgesetzen)
geschlechtsspezifische Ungleichbehandlung weiblicher Erbinnen[151]
Erbberechtigung mehrerer Ehefrauen.[152]

OLG Hamm, Beschl. v. 28.2.2005 – 15 W 117/04 = ZEV 2005, 436

Anwendung des ordre public bei Erbrechtsausschluss ausländischen Rechts mit religiös diskriminierendem Charakter

1. Die Bestimmung des ägyptischen Rechts, die ausnahmslos Personen (damit auch Kinder) von der gesetzlichen Erbfolge ausschließt, wenn sie nicht derselben Religion wie der (hier muslimische) Erblasser angehören, beinhaltet einen erheblichen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 3 GG.
2. Die Anwendung dieser Norm indiziert bei einem gegebenen Inlandsbezug einen Verstoß gegen den deutschen ordre public.
3. Bei der Abwägung gegenläufiger Grundrechtspositionen kann ein konkret feststellbarer Erblasserwille, die Rechtsfolgen seines Heimatrechts eintreten zu lassen, zu einem abweichenden Ergebnis führen. Der Beachtlichkeit des Erblasserwillens steht in diesem Zusammenhang nicht entgegen, dass sein Heimatrecht die Errichtung einer auf den Ausschluss von der gesetzlichen Erbfolge gerichteten letztwilligen Verfügung nicht ermöglicht.

KG, Beschl. v. 26.2.2008 – 1 W 59/07 = FamRZ 2008, 1564

Verstoß gegen den deutschen ordre public bei Erbrechtsausschluss nach ägyptischem Recht, Berücksichtigung der testamentarischen, den Erbrechtsausschluss bestätigenden Verfügung des Erblassers

Ist nach dem gemäß Art. 25 Abs. 1 EGBGB anwendbaren Erbstatut die gesetzliche Erbfolge maßgeblich, nach der ein Abkömmling des Erblassers unter Verstoß gegen den deutschen ordre public von der Erbfolge ausgeschlossen ist, so ist die vom Erblasser in einem formgültigen Testament getroffene Anordnung, diesen Abkömmling von der Erbfolge auszuschließen, bei der Rechtsanwendung gemäß Art. 6 EGBGB zu beachten. Dies kann, bei entsprechend eindeutiger Willensäußerung des Erblassers, dazu führen, dass der Verstoß gegen den ordre public durch Gewährung des nach deutschem Recht unentziehbaren Pflichtteilsanspruchs oder eines im ausländischen Recht vorgesehenen äquivalenten Ausgleichsanspruchs geheilt wird.

In einem Erbschein ist dieser Anspruch nicht auszuweisen.

 

Rz. 100

Problematisch ist insbesondere die Frage nach den Pflichtteilsrechten. So sah die ursprüngliche Fassung des Art. 27 Abs. 2 EU-ErbVO vor, dass der ordre public-Vorbehalt in Zusammenhang mit Pflichtteilsrechten zurückgedrängt werden sollte. Dies kam in dem Satz "kann nicht allein deshalb als mit der öffentlichen Ordnung … unvereinbar angesehen werden, weil sie den Pflichtteilsanspruch anders regelt als das Recht am Ort des angerufenen Gerichts" zum Ausdruck. Im Gesetzgebungsverfahren gelangte man zur Überzeugung, dass "jedenfalls im Kreise der Mitgliedsstaaten für eine Anwendung des orde public im Hinblick auf Pflichtteilsrechte kein Raum sei."[153] Dies gilt wohl auch im Hinblick auf die Entscheidung des BVerfG vom 19.4.2015.[154] Darin hatte das BVerfG noch geurteilt: "Die grundsätzlich unentziehbare und bedarfsunabhängige wirtschaftliche Mindestbeteiligung der Kinder des Erblassers an dessen Nachlass wird durch die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistet."

[145] Vgl. Begr. RegE BT-Drucks 10/504 S. 42.
[146] Schotten/Schmellenkamp, IPR, Rn 53; Kunz, IPR, Rn 278 ff.; Junker, ...

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