Rz. 6

 

Beispiel

Familie V ist nicht nur vermögend, sondern in der Region auch angesehen. Seit mehreren Generationen trägt sie zum wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wohl der Region bei.

Nach dem Tod von Mutter Veronica hat Vater Viktor erkannt, dass er zum Erhalt des Vermögens Vorkehrungen treffen sollte. Mit Anwalt und Steuerberater wurden die notwendigen Dokumente (sein Testament, Eheverträge und Verzichtserklärungen der Kinder, Gesellschaftsvertrag und vieles mehr) erarbeitet und der nächsten Generation zur Unterschrift empfohlen. Auf Bitten von Valeri, der Zweitältesten, wurden die Regelungen den Kindern und ihren Ehepartnern von den Fachleuten ganz ausführlich erläutert. Mit der familientypischen Mischung aus Autorität/Folgsamkeit und Vertrauen wurden alsbald die Unterschriften geleistet.

Wenig später stirbt Viktor. Die Kinder, Victor junior, Valeri und Volkmer, erben, was sie noch nicht geschenkt bekommen hatten. Streit gibt es nicht, die Steuerzahlungen sind erträglich. Zu den Vermögenswerten, die die Kinder von ihren Eltern erhalten haben, zählen:

der Familienschmuck, insbesondere eine Goldkette
Wertpapiere
der Familien-Stammsitz
das vom Vater gegründete Familienunternehmen
die Familien-Historie (stellvertretend für andere immaterielle Vermögenswerte)

Ein Jahr später trifft sich die Familie. Valeri hat die Goldkette erhalten und dafür sofort ein Bankschließfach angemietet. Die Geschwister diskutieren, ob sie den Familienschmuck zu besonderen Anlässen tragen dürfe und solle.

Victor junior hat den Familiensitz übernommen. Nur für den definierten Unglücksfall ist ihm auferlegt, seinen Geschwistern im Nebenhaus Unterbringung zu gewähren. Ein Sturm hat das Dach beschädigt. Er muss handeln, scheut aber die Ausgaben. Die Geschwister drängen ihn, die Reparatur unverzüglich in Angriff zu nehmen. Allen klingen die Erzählungen im Ohr, welche Folgeschäden ein unzureichendes Dach den Großeltern aufgebürdet hatte. Victor junior wird auf seinen Teil des Wertpapierdepots zugreifen müssen, das unter den Geschwistern aufgeteilt wurde.

Volkmer hat 40 % der Unternehmensanteile erhalten und ist seinem Vater in die Geschäftsführung nachgefolgt. Er berichtet seinen Geschwistern, die je 30 % der Anteile halten, über die aktuelle Situation im Unternehmen. Er stehe vor der Frage, die Lagerhaltung zu automatisieren. Eine erhebliche Investition, die sich aber bezahlt mache, wenn die wirtschaftliche Entwicklung so anhalte. Victor junior zeigt wenig Interesse für die Frage, Valeri bohrt nach. Die Diskussion schraubt sich tief in den betrieblichen Alltag, ohne wirklichen Erkenntnisgewinn für Volkmer. Er denkt im Stillen an den Vater, der allein entscheiden konnte und niemandem Rechenschaft schuldig war. Die Geschwister gehen auseinander: Victor junior gelangweilt, Valeri verwirrt und Volkmer frustriert. Sie werden sich in Kürze zur Gesellschafterversammlung wiedersehen, das gibt der Gesellschaftsvertrag vor.

 

Rz. 7

Im Beispiel verkörpern die Kinder drei charakteristische Konstellationen für den Vermögenserhalt in einer Familie:

Valeri hat den Familienschmuck erhalten und trägt damit Sorge für ein quasi statisches Vermögen. Eine gewisse Sorgfalt vorausgesetzt, ist sein künftiger Wert nur von äußeren nicht beeinflussbaren Faktoren abhängig: z.B. der Entwicklung des Goldpreises und des Marktes für Sammlerwerte oder gar dem Untergang des Bankschließfaches. Valeri ist alleinige Eigentümerin.

Auch Victor junior ist alleiniger Eigentümer. Der Erhalt des Familienstammsitzes bedeutet vorrangig Substanzerhalt. Die erforderlichen Entscheidungen kann er formal allein treffen. Potentiell haben sie auch auf seine Geschwister Auswirkungen, sollten sie je bei ihm Wohnung nehmen wollen.

Volkmer ist geschäftsführender Gesellschafter des Familienunternehmens. Vermögenserhalt bedeutet für ihn vorrangig Erhalt des Ertragswertes. Entscheidungen, die er trifft, wirken sich nicht nur auf sein, sondern auch auf das Vermögen seiner Geschwister aus. Als Geschäftsführer verfügt er über gewisse Gestaltungsspielräume, als Gesellschafter kann er als 40 %-Eigner nur im Team mit mindestens einem seiner Geschwister Beschlüsse fassen. (Keine abweichenden Stimmrechte unterstellt.)

Das Wertpapierdepot hat der Vater als Wertausgleich genutzt, um die materielle Gleichbehandlung der Geschwister sicher zu stellen.

Immaterielles Vermögen, z.B. die Erfahrungen und Historie der Familie, haftet offenbar der Goldkette ebenso an wie dem Familiensitz und vermutlich auch dem Unternehmen. Es wurde bei der Übertragung nicht thematisiert.

 

Rz. 8

Schon dieser Überblick zeigt, dass die Anforderungen vielgestaltig sind, um Vermögen zu erhalten. Das Familienunternehmen repräsentiert hinsichtlich Vermögensumfang und -struktur hohe Komplexität. Es steht zugleich stellvertretend für andere Vermögenswerte, für die die Familienmitglieder gemeinsame Entscheidungen treffen müssen.

 

Rz. 9

Trotz aller Sorgfalt der Anwälte und Steuerberater: Verträge, Vollmachten und testamentarische Regelungen ...

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