Rz. 38

Die Diskussion der Werte, die Erfahrung der Übereinstimmung sowie der Austausch über gemeinsame Erfahrungen und überlieferte Geschichten verändert den Ton in der Familie und erzeugt Gemeinschaft.

Die Formulierung und Konkretisierung der Ziele aber macht den Unterschied. In Familien, in denen die Entfremdung schon fortgeschritten ist, dominiert die Fragestellung: "Was nützt mir?", "Was darf ich?". Sind die Ziele von Familie und Vermögen bzw. Unternehmen nicht klar, nicht bewusst oder oft sogar von Widersprüchlichkeiten gekennzeichnet, so gewinnen persönliche, individuelle Ziele die Oberhand.

 

Rz. 39

Die Verständigung auf gemeinsame Ziele richtet die Familie aus. Sie generiert eine gemeinsame Vorstellung von der Zukunft von Unternehmen, Vermögen und Familie. Implizite Ziele wie etwa der Fortbestand eines Unternehmens oder die Mehrung des Vermögens werden hinterfragt und ggf. neu definiert. Die Beteiligung am Prozess erzeugt Verantwortung bei den Familienmitgliedern.

Gemeinsame Ziele geben auf alle drei oben genannten Herausforderungen (fehlende Unterscheidung von Funktion und Person, ungeeignete Entscheidungsmechanismen, Entfremdung) eine Antwort:

 

Rz. 40

Üblicherweise streben Unternehmerfamilien danach, sowohl den Zusammenhalt in der Familie zu bewahren als auch ihr Vermögen zu erhalten. An der Auswahl eines geeigneten Nachfolgers oder der Entlassung eines mitarbeitenden Familienmitgliedes zeigt sich beispielhaft, wie konfliktär diese Ziele sind. Die Implikationen der Ziele zu Ende zu denken und schließlich Prioritäten zu setzen, macht Familien zukunftsfähig. Ziele der familiären oder Vermögenssphäre zuzuordnen, stärkt ihre Kompetenz, zwischen Person und Funktion zu trennen.

 

Rz. 41

Gemeinsame Ziele zu definieren, ist auch für die Entwicklung geeigneter Entscheidungsmechanismen von zentraler Bedeutung. Die Geschwistergesellschaft, die sich vom Vorbild des Alleinentscheiders emanzipieren will, braucht die Erörterung gemeinsamer Ziele. Nicht die vorgegebenen, sondern die selbst gesteckten Ziele mobilisieren Verantwortung am wirkungsvollsten.[15]

Auch hierin kann die Gründergeneration Vorbild sein: bezieht sie die Erben im Rahmen einer Familienstrategie in die Entscheidungsfindung über die Vermögensübertragung ein, d.h. werden die Ziele offen besprochen und die möglichen Maßnahmen gemeinsam abgewogen, so wird die Nachfolgegeneration buchstäblich mit in die Verantwortung genommen.

Zur Diskussion von Zielen gehört ferner, die persönlichen Interessen und Ziele angemessen zu artikulieren. Im Prozess einer Familienstrategie wird so für den Einzelnen begreiflich, wo die Optimierung persönlicher Ziele mit dem Vermögenserhalt unvereinbar ist. Die Erfahrung lehrt aber auch, dass eine strenge Verzichtskultur Einfallstor für Konflikte ist und den familiären Zusammenhalt auf eine harte Probe stellen kann. Auf die Balance kommt es an. Und die Balance ist für jede Familie einzigartig und nur durch Kommunikation zu klären.

 

Rz. 42

Für große Familien steht das Aushandeln der Balance nicht mehr im Mittelpunkt. Spätestens ab der 3. Generation, dem Vetternkonsortium, braucht die Familie eine Ablösung individualisierter, personenabhängiger Regeln und Ausnahmen. Mit dem Grundsatz "Unternehmensinteresse vor Familieninteresse vor Individualinteresse" kann sie ihr Miteinander an den Schnittstellen zum Unternehmen vereinfachen und stabilisieren und der Entfremdung späterer Generationen entgegenwirken. Diese Vereinfachung wirkt jedoch nur dann entlastend, wenn auf andere Weise der Familie genügend Raum gegeben wird.[16]

Je größer Familie und Vermögen, desto bedeutsamer wird die Festlegung der Ziele als Führungsinstrument. Entscheidungen werden delegiert, d.h. von ausgewählten Verantwortlichen getroffen (in einem entscheidungsbefugten Beirat, auf Geschäftsführerebene etc.). Die Diskussion von Zielen koordiniert die Erwartungen der Beteiligten, ihr Abgleich macht Erfolg oder Misserfolg transparent. Eingebettet in eine angemessene Kommunikationskultur und -struktur fördern sie Interesse und festigen Legitimation und Vertrauen.

[15] Die Verantwortlichkeiten, wie nämlich Verantwortung in unterschiedlichen Funktionen zu konkretisieren und wahrzunehmen ist, ist von der Familie ebenfalls zu klären (siehe unten Rdn 45–51).
[16] "Die Bedeutung einer Family Governance ist nicht immer offensichtlich. Aber tatsächlich ist es einer der größten Vorteile der Beteiligung an einem Familienunternehmen, dass sie der Familie die Chance bietet zu erleben, wie es ist, zusammenzukommen und gemeinsam an der Verwirklichung gemeinsamer Interessen und Ziele zu arbeiten." Aronoff/Ward, Familiy Business Governance, S. 12 (Übersetzung der Verfasserin).

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