Rz. 299

Die anspruchsbegründenden Umstände liegen vor, wenn der Pflichtteilsberechtigte grundsätzlich positive Kenntnis über die ihn beeinträchtigende letztwillige oder lebzeitige Verfügung erlangt. Dies setzt im Einzelnen eine wesentliche Kenntnis des Inhalts der beeinträchtigenden Verfügung voraus. Der Berechtigte muss danach insbesondere erkannt haben, dass er durch die Verfügung von der Erbfolge ausgeschlossen ist. Voraussetzung ist aber nicht, dass eine detaillierte Prüfung des Inhalts der letztwilligen Verfügung erfolgt. Ferner ist es auch unerheblich, ob der Pflichtteilsberechtigte die rechtliche Natur der Verfügung fehlerfrei bestimmen kann.[468] Der Pflichtteilsberechtigte muss sich auch nicht unbedingt selbst ein Bild von der ihn beeinträchtigenden Verfügung gemacht haben.[469] Es reicht auch aus, wenn er von dem wesentlichen Inhalt der Verfügung mündlich erfährt, abgesehen von der damit verbundenen Beweisschwierigkeit.

 

Rz. 300

Erfolgt die Beeinträchtigung des Pflichtteilsberechtigten allein durch eine Verfügung von Todes wegen, so stellt diese Verfügung die Beeinträchtigung dar, auf die sich die Kenntnis beziehen muss. Liegen mehrere sich widersprechende letztwillige Verfügungen vor und erlangt der Pflichtteilsberechtigte zunächst Kenntnis über die ihn enterbende Verfügung von Todes wegen und erlangt er später Kenntnis von einer weiteren Verfügung von Todes wegen, die ihn nicht enterbt, entfällt damit die Kenntnis und die bislang abgelaufene Verjährungszeit gilt als nicht abgelaufen.[470] Handelt es sich bei der den Pflichtteilsberechtigten beeinträchtigenden Verfügung um eine lebzeitige Schenkung, hat sich die Kenntnis grundsätzlich hierauf zu beziehen. Bei mehreren unentgeltlichen Zuwendungen beginnt die Frist z.B. unterschiedlich zu laufen, wenn der Pflichtteilsberechtigte zu unterschiedlichen Zeitpunkten über die Schenkung erfährt.

 

Rz. 301

Hinzu kommt, dass der Pflichtteilsberechtigte nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB auch Kenntnis von der Person des Schuldners haben muss.[471]

 

Rz. 302

 

Praxishinweis

Fraglich ist, ob für den Verjährungsbeginn nicht nur die Stellung als Pflichtteilsberechtigter und die Kenntnis von der enterbenden Verfügung notwendig sind, sondern darüber hinaus auch Kenntnisse über Bestand und Wert des Nachlasses.[472] Nach h.M. beginnt der Lauf der Verjährungsfrist nämlich erst dann, wenn der Gläubiger von einem Sachverhalt erfährt, der erhebliche Anhaltspunkte für die Entstehung eines Anspruchs gebietet, bzw. von jenen Tatsachen, aus denen der Anspruch herzuleiten ist.[473] Für den Pflichtteilsanspruch ist dies problematisch. Hat der Pflichtteilsberechtigte allerdings Kenntnis von seiner Stellung als Pflichtteilsberechtigter, so ist für den Anspruch irrelevant, wie hoch der Anspruch auf den Pflichtteil ist. Es kommt somit für den Beginn der Regelverjährung grundsätzlich nicht darauf an, ob der Pflichtteilsberechtigte Informationen über die Zusammensetzung des Nachlasses hatte.[474]

[468] BGH NJW 1995, 1157; RGZ 104, 195, 197.
[469] RGZ 70, 360; BGH JZ 1951, 527.
[470] BGH FamRZ 1985, 1021; vgl. hierzu ausführlich Soergel/Dieckmann, § 2332 Rn 15 ff.
[471] Zur Frage des Verjährungsbeginns bei Unsicherheit über die Erbenstellung vgl. Wiederhold, ZErb 2015, 299.
[472] Vgl. dazu Damrau, ZEV 2009, 274, 276.
[473] So Damrau, ZEV 2009, 27.
[474] Nach OLG Koblenz ZEV 2002, 501 hindert die Unkenntnis des Pflichtteilsberechtigten über den Umfang und Wert des Nachlasses nicht den Beginn der dreijährigen Verjährungsfrist; a.A. Damrau, ZEV 2009, 277; Adam, ZErb 2015, 1.

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