Rz. 109

Nach § 93 SGB XII (§ 33 Abs. 1 SGB II) kann der Sozialhilfeträger Erb- und Pflichtteilsansprüche auf sich überleiten. Bei der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs durch den Sozialhilfeträger ist aber zu unterscheiden, ob der Pflichtteilsberechtigte enterbt wurde oder ob er erst durch Ausschlagung nach § 2306 Abs. 1 BGB die Möglichkeit einer Durchsetzung des Pflichtteils hat. Nach h.M. handelt es sich bei der Ausschlagung um ein höchstpersönliches Recht, welches nicht überleitungsfähig ist.[197] Von der Überleitung wäre in dem Fall, dass der Pflichtteilsberechtigte ausschlagen muss, um seinen Pflichtteilsanspruch zu erhalten, nur der Anspruch nach § 2305 BGB und §§ 2325, 2326 BGB erfasst.

Bis zur Entscheidung des BGH vom 19.1.2011[198] war im Übrigen umstritten, ob der Pflichtteilsverzicht eines Sozialleistungsempfängers "zu Lasten des Sozialhilfeträgers" sittenwidrig ist. Der BGH hat in der zitierten Entscheidung klargestellt, dass das grundsätzlich nicht der Fall ist.

 

Rz. 110

Wurde der Pflichtteilsberechtigte hingegen von der Erbfolge durch letztwillige Verfügung ausgeschlossen, kann der Pflichtteilsanspruch nach Ansicht des BGH unmittelbar auf den Sozialhilfeträger übergeleitet und von diesem geltend gemacht werden, und zwar unabhängig davon, ob der Pflichtteilsberechtigte selbst (oder sein Betreuer) sich zu einer Geltendmachung entschieden hat.[199] Gleiches gilt nach Ansicht des BGH auch für den Fall, dass durch die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs durch den Sozialhilfeträger möglicherweise eine mit der Sanktion der Enterbung im Schlusserbfall verbundene Pflichtteilsklausel ausgelöst wird.[200] Nach Ansicht des BGH ist eine solche Pflichtteilsklausel, sofern kein entgegenstehender Erblasserwille erkennbar ist, so auszulegen, dass die Enterbung (Sanktion) nicht für den Fall gilt, dass nicht der Pflichtteilsberechtigte selbst, sondern der Sozialhilfeträger den Anspruch durchsetzt.[201] Nach Ansicht des LG Duisburg kann der Pflichtteilsanspruch eines in einem Berliner Testament als Schlusserbe eingesetzten Abkömmlings durch den Sozialhilfeträger auch nach dem zweiten Erbfall und somit nach dem Eintritt des Zeitpunkts der Konfusion übergeleitet werden.[202] Richtiger Adressat der Überleitungsanzeige ist dabei auch der nicht hilfebedürftige Miterbe, der gesamtschuldnerisch für den Pflichtteilsanspruch haftet (§ 2058 BGB).[203]

[197] OLG Frankfurt ZErb 2004, 201; OLG Stuttgart NJW 2001, 3484; J. Mayer, ZErb 2000, 16; Bengel, ZEV 1994, 29; Joussen, ZErb 2003, 134.
[199] BGH ZErb 2005, 120 = FamRZ 2005, 448; a.A. noch BayObLG ZErb 2004, 69, welches von einer Verwertbarkeit des Pflichtteilsanspruchs nach Überleitung erst dann ausging, wenn sich der Berechtigte bzw. sein Betreuer zu einer Geltendmachung entschlossen hat.
[200] BGH ZErb 2006, 53 = FamRZ 2006, 194.
[201] BGH ZErb 2006, 53 = FamRZ 2006, 194.
[202] LG Duisburg FamRZ 2006, 651 in Anschluss an BGH FamRZ 1995, 1123.
[203] LG Duisburg FamRZ 2006, 651.

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