Rz. 63

Hinsichtlich der Rechtsfolgen sind die Kündigungsmöglichkeit des Versicherers einerseits und die Leistungsfreiheit andererseits zu unterscheiden.

a) Kündigung

 

Rz. 64

Im Falle der subjektiven Gefahrerhöhung kann der Versicherer den Versicherungsvertrag grundsätzlich gem. § 24 Abs. 1 S. 1 VVG fristlos kündigen. Weist der Versicherungsnehmer jedoch nach, dass die Verletzung der Gefahrstandspflicht weder vorsätzlich noch grob fahrlässig erfolgt ist, kommt im Falle der leicht fahrlässigen Verletzung eine Kündigung mit Monatsfrist in Betracht (§ 24 Abs. 1 S. 1, 2 VVG). Das bedeutet, dass im Falle der schuldlosen subjektiven Gefahrerhöhung keine Kündigungsmöglichkeit besteht. Im Falle der Verletzung der Anzeigepflicht bei der nachträglich erkannten schuldlosen subjektiven sowie bei der objektiven Gefahrerhöhung kann der Versicherer mit Monatsfrist kündigen (§ 24 Abs. 2 VVG).

 

Rz. 65

Das Kündigungsrecht erlischt, wenn es nicht innerhalb eines Monats ab Kenntnis des Versicherers von der Gefahrerhöhung ausgeübt wird (§ 24 Abs. 3 VVG). Statt der Kündigung kann der Versicherer gem. § 25 VVG die Versicherungsprämie erhöhen. Wie beim Kündigungsrecht hat er aber dafür auch nur einen Monat ab Kenntnis von der Gefahrerhöhung Zeit. Erhöht sich die Prämie um mehr als 10 %, kann der Versicherungsnehmer unter Einhaltung einer Monatsfrist kündigen (§ 25 Abs. 2 S. 1 VVG).

b) Leistungsfreiheit

 

Rz. 66

Die Folge der Leistungsfreiheit knüpft entsprechend dem neuen Sanktionensystem des VVG (Wegfall des Alles-oder-Nichts-Prinzips) an das Verschuldensmaß des Versicherungsnehmers an:

bei (vom Gesetz als Regelfall vermuteter) grober Fahrlässigkeit erfolgt eine Leistungskürzung entsprechend der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers, § 26 Abs. 1 S. 2 VVG
bei (vom Versicherer zu beweisendem) Vorsatz besteht vollständige Leistungsfreiheit, § 26 Abs. 1 S. 1 VVG
bei (vom Versicherungsnehmer zu beweisender) lediglich leichter Fahrlässigkeit oder fehlendem Verschulden bleibt die Leistungspflicht unberührt, § 26 Abs. 1 VVG.
 

Rz. 67

Das Verschulden bezieht sich bei der subjektiven Gefahrerhöhung (§ 23 Abs. 1 VVG) auf die Vornahme oder Gestattung der Gefahrerhöhung, im Übrigen (§ 23 Abs. 2 und 3 VVG) auf die Nichtvornahme der erforderlichen Anzeige. Weitere Voraussetzung der (vollständigen oder teilweisen) Leistungsfreiheit in den Fällen der Anzeigepflichtverletzung (§ 23 Abs. 2 und 3 VVG) ist, dass der Versicherungsfall später als einen Monat nach dem Zeitpunkt der an sich erforderlichen Anzeige eintritt (§ 26 Abs. 2 S. 1 VVG).

 

Rz. 68

Diese Regelung entspricht dem Gedanken der Kausalität der Anzeigepflichtverletzung: Hätte der Versicherungsnehmer die Gefahrerhöhung ordnungsgemäß angezeigt, hätte der Versicherer gem. § 24 Abs. 2 VVG auch nur unter Einhaltung einer Monatsfrist kündigen können, sodass er für einen innerhalb dieser Monatsfrist eintretenden Versicherungsfall auch ohne die Anzeigepflichtverletzung in jedem Fall leistungspflichtig gewesen wäre.

 

Rz. 69

Nach dem Gesetzeswortlaut wird – abweichend von der obigen Darstellung – in den Fällen der Anzeigepflichtverletzung (§ 23 Abs. 2 und 3 VVG) der Vorsatz des Versicherungsnehmers vermutet (§ 26 Abs. 2 S. 2 VVG). Da dies der grundsätzlichen Vermutung grober Fahrlässigkeit im Sanktionensystem des neuen VVG widerspricht, besteht Streit, ob es sich um eine absichtliche gesonderte Behandlung von Anzeigepflichtverletzungen handelt, da bei der vom Versicherer ohnehin nachzuweisenden Kenntnis des Versicherungsnehmers von der Gefahrerhöhung die Vorsatzvermutung nahe liegend sei (so KG r+s 2017, 582; Burmann/Heß/Höke/Stahl, S. 57 Rn 160; Marlow/Spuhl, S. 58), oder um ein redaktionelles Versehen. Der letztgenannten Auffassung folgend wird hier davon ausgegangen, dass eine vollständige Leistungsfreiheit auch bei der Anzeigepflichtverletzung nur dann in Betracht kommt, wenn dem Versicherer der Vorsatzbeweis gelingt (so Felsch, r+s 2007, 485, 488; Rixecker, zfs 2007, 136, 137). Insoweit bleibt die Klärung durch die Rechtsprechung abzuwarten.

 

Rz. 70

Der Versicherer bleibt trotz Gefahrerhöhung zur Leistung verpflichtet, wenn

der Versicherer in den Fällen der Anzeigepflichtverletzung (§ 23 Abs. 2 und 3 VVG) die Gefahrerhöhung zum Zeitpunkt der an sich erforderlichen Anzeige bereits kannte, § 26 Abs. 2 S. 1 VVG (in diesem Fall besteht kein Bedürfnis mehr für die Anzeige);
zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls die Kündigungsfrist des Versicherers bereits abgelaufen war, § 26 Abs. 3 Nr. 2 VVG (in diesem Fall akzeptiert der Versicherer die Gefahrerhöhung durch Fortsetzung des Vertrages);
die Gefahrerhöhung weder für den Eintritt des Versicherungsfalls noch den Umfang der Leistungen ursächlich ist, § 26 Abs. 3 Nr. 1 VVG.
 

Rz. 71

Die Möglichkeit des Kausalitätsgegenbeweises für den Versicherungsnehmer entspricht den Grundsätzen des im neuen VVG verankerten Sanktionensystems.

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