Rz. 112

Inzwischen vom BGH entschieden ist die folgende, bis dahin streitige Frage: Hat ein Versicherer bei bereits vor dem 1.1.2008 abgeschlossenen Verträgen (Altverträgen) auf seine ihm durch Art. 1 Abs. 3 EGVVG eingeräumte Möglichkeit verzichtet, die Altverträge zum 1.1.2009 an die neuen Versicherungsbedingungen (AVB) anzupassen, kann er sich auf in den (alten) AVB enthaltene vertragliche Obliegenheiten nicht berufen, wenn die Sanktionsregelungen in den AVB den zwingenden gesetzlichen Regelungen des § 28 VVG widersprechen. Damit entfällt auch die Geltendmachung des Leistungskürzungsrechts des § 28 Abs. 2 S. 2 VVG bei grober Fahrlässigkeit. Allein auf die Verletzung gesetzlicher Obliegenheiten – wie z.B. die grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalles gem. § 81 Abs. 2 VVG – kann sich der Versicherer dann noch berufen (BGH v. 12.10.2011 – IV ZR 199/10 – VersR 2011, 1550). Aus der Entscheidung ergibt sich allerdings nicht eindeutig, ob die betreffende vertragliche Obliegenheit hinsichtlich einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung noch Bestand hat. Auf den ersten Blick spricht dafür, dass insoweit die Rechtsfolgen der alten Klausel mit der neuen gesetzlichen Regelung übereinstimmen (vollständige Leistungsfreiheit). Da sich allerdings auch bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung durch das neue VVG Änderungen hinsichtlich der Rechtsfolgen ergeben haben (z.B. nunmehr Möglichkeit des Kausalitätsgegenbeweises außer bei Arglist, siehe Rdn 93 ff.), dürfte wegen des sog. Verbots der geltungserhaltenden Reduktion auch im Falle des Vorsatzes eine Berufung auf die (alte) vertragliche Obliegenheit ausscheiden (so OLG Celle VersR 2012, 753).

 

Rz. 113

Das bedeutet auch für den Bereich der Kraftfahrtversicherung, dass bei einer nicht erfolgten (oder nicht durch den Versicherer nachweisbaren) Vertragsanpassung zum 1.1.2009 die vertraglichen Obliegenheiten bei grob fahrlässiger Verletzung ins Leere gehen, da keine Leistungskürzung möglich ist. Dies betrifft wegen ihrer großen Bedeutung im Verkehrsrecht insbesondere die Trunkenheitsklausel. Nach vorstehender Argumentation (siehe Rdn 112) dürfte sogar eine Berufung auf eine vorsätzliche vertragliche Obliegenheitsverletzung – wie z.B. die vorsätzliche Trunkenheitsfahrt oder das unerlaubte Entfernen vom Unfallort als Aufklärungspflichtverletzung – ausscheiden.

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