Rz. 10

Wenn der Anwalt die Komplikationen/Spätfolgen/Risiken in Bezug auf die einzelnen Verletzungsfolgen seines Mandanten kennt, kann dies auf die Höhe des Schmerzensgeldes erheblichen Einfluss haben. In diesem Zusammenhang ist auf die Grundsatzentscheidung des BGH vom 14.2.2006 (VI ZR 322/04, zfs 2006, 381) hinzuweisen. Nach dieser Rechtsprechung gebietet es "der Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes, die Höhe des dem Geschädigten zustehenden Anspruchs aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklungen des Schadensbildes zu bemessen."

 

Rz. 11

Es geht um die Benennung möglicher Verletzungsfolgen, die zum Beurteilungszeitpunkt zwar noch nicht eingetreten sind, deren Eintritt aber objektiv vorhersehbar erscheint, mit denen also gerechnet werden muss, obgleich sich die Folgen im Einzelfall auch nie realisieren müssen. Es geht also um die theoretische Möglichkeit des Eintritts weiterer gesundheitlicher Verschlechterungen, auch dann wenn diese unwahrscheinlich sind. Insofern hat der Geschädigte hier ganz klar die Rechtsprechung des BGH auf seiner Seite.

 

Rz. 12

Zu den Einzelheiten der Vorhersehbarkeitsrechtsprechung des BGH sei auf § 5 Rdn 7 ff. verwiesen. Wegen der Besonderheiten der Gestaltung eines entsprechenden Zukunftsschadensvorbehaltes verweisen wir auf § 10 Rdn 34 ff.

 

Rz. 13

Da die Regulierung des Schmerzensgeldes sich immer an den objektiv vorhersehbaren Folgeschäden orientieren muss, muss der Anwalt dem Versicherer zu den Ausgangsverletzungen des Mandanten die möglichen Spätfolgen, Komplikationen und Risiken aufzeigen, um auf diese Art und Weise eine deutliche Erhöhung des Schmerzensgeldes zu erreichen. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Wenn die Spätfolgen, Komplikationen und Risiken, die eine Ausgangsverletzung mit sich bringt, im weiteren Verlauf jedoch nie eintreten, dann kann der Mandant trotzdem das deutlich erhöhte Schmerzensgeld behalten und muss dieses auch später nicht zurückzahlen.

 

Rz. 14

Problematisch ist es, wenn der Anwalt das Schmerzensgeld (zu gering) lediglich auf der Basis der Ausgangsverletzungen beziffert und der Versicherer den Schaden mit Abfindungserklärung außergerichtlich abschließend reguliert hat und sich dann zu einem späteren Zeitpunkt eine objektiv vorhersehbare medizinische Komplikation einstellt. Unter Hinweis auf die Vorhersehbarkeitsrechtsprechung des BGH (siehe § 5 Rdn 7 ff.) ist der Schädiger leistungsfrei und der Anwalt hat ein Haftungsproblem.

 

Rz. 15

Im Regulierungsgespräch kommt es vor, dass der Haftpflichtversicherer die vom Anwalt vorgetragenen Komplikationen/Spätfolgen/Risiken bestreitet und stattdessen lediglich ein Schmerzensgeld auf der Basis der unstreitigen Ausgangsverletzungen anbietet, welches naturgemäß erheblich geringer ist. Oftmals wird argumentiert, das Risiko des Eintritts der behaupteten Komplikationen/Spätfolgen/Risiken sei so gering, dass es schmerzensgeldrechtlich nicht ins Gewicht fällt.

An dieser Stelle kann sich folgende Vorgehensweise anbieten: Der Anwalt verhandelt mit dem Versicherer zunächst einen Schmerzensgeldbetrag lediglich für die Ausgangsverletzungen. Im Wege eines Vorbehaltes wird vereinbart, dass bei Eintritt ausdrücklich benannter Komplikationen/Spätfolgen/Risiken aufgrund dieser Ausgangsverletzungen die Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes verlangt werden kann. Es sollte der ausdrückliche Hinweis erfolgen, dass diese Vereinbarung in Abweichung zur Vorhersehbarkeitsrechtsprechung des BGH erfolgt. Ergänzend muss der Versicherer den allgemeinen immateriellen Vorbehalt erklären, welcher sich nach der Vorhersehbarkeitsrechtsprechung dann nur noch auf objektiv nicht vorhersehbare Folgeschäden bezieht. Dieser dreistufige Regulierungsaufbau sichert dem Geschädigten eine umfassende Rechtsposition und minimiert zugleich das Risiko der Anwaltshaftung. Zur Bestimmung, welche Komplikationen/Spätfolgen/Risiken objektiv vorhersehbar sind, sollte sich der Rechtsanwalt mit dem Versicherer auf die Einholung eines Arztgutachtens verständigen. Dieses Gutachten ist dann Gegenstand der Abfindungserklärung.

 

Rz. 16

Die gewonnenen Erkenntnisse aus einer Begutachtung zu den Komplikationen/Spätfolgen/Risiken eröffnen es dem Anwalt darüber hinaus, mit dem Versicherer über eine spätere Angleichung des Erwerbsschadens, Haushaltsführungsschadens und der damit im Zusammenhang stehenden vermehrten Bedürfnisse zu verhandeln. Das muss jedoch ausdrücklich in einem Vorbehalt erfasst werden. In diesem Zusammenhang sollte das Augenmerk dann auch auf einen eventuellen Pflegevorbehalt gerichtet werden. Wenn die objektiv vorhersehbaren Komplikationen/Spätfolgen/Risiken darauf hindeuten, dass in der Zukunft eine Pflegebedürftigkeit entstehen kann, dann sollte der Anwalt im Regulierungsgespräch darauf hinwirken, dass der Versicherer bei Eintritt dieser objektiv vorhersehbaren Folgen seine Eintrittspflicht für die ungedeckte Schadensspitze bei erforderlichen Pflegeleistungen erk...

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