Rz. 26

Entzug einer FE nach dem 1.5.2014 aufgrund einer vor dem 30.4.2014 eingetragenen Zuwiderhandlung, die nach dem 1.5.2015 nicht mehr zu speichern wäre?

Es ist fraglich, ob die Annahme der Ungeeignetheit eines FE-Inhabers nach dem 1.5.2014 gelten kann, wenn diesem Schluss Eintragungen zugrunde liegen, die bis zum 30.4.2014 zu einem entsprechenden Punktestand geführt haben, wobei einzelne Eintragungen nach dem 1.5.2014 nicht mehr zu Eintragungen geführt hätten. Zwar hat der Betroffene mit dem Begehen einer Zuwiderhandlung, die zu einer Summe von 18 Punkten nach altem System geführt hat, alle Tatbestandsmerkmale von § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 StVG a.F. verwirklicht. Das hat zur Folge, dass der Betroffene als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen und die FE zu entziehen ist. Der Gesetzgeber hat jedoch mit der Übergangsregelung des § 65 Abs. 3 Nr. 1 StVG aber zum Ausdruck gebracht, dass er aus der Verwirklichung bestimmter Taten, die sich nicht direkt auf die Verkehrssicherheit auswirken, keine Konsequenzen ziehen will. Geregelt ist zwar nur die Löschung der bereits gespeicherten Eintragung zum 1.5.2014. Ist aber bis zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit die zugrunde liegende Eintragung zu löschen, wird der für den Entzug maßgebliche Punktestand nicht mehr erreicht. Insoweit spricht einiges dafür, dass das Tattagprinzip durch § 65 Abs. 3 Nr. 1 StVG eingeschränkt wird.[31]

Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer FE-Entziehung ist grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung. Andererseits gilt für das Punktsystem das Tattagprinzip, wonach sich die Punkte mit Begehung der zu Punkten führenden Zuwiderhandlung ergeben. Das würde bedeuten, dass der Betroffene nach dem Punktsystem in der bis zum 30.4.2014 geltenden Fassung als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen gilt. Allerdings stellt sich die Frage, ob das auch dann gilt, wenn zwar die Punkte bis zum 30.4.2014 nach dem Tattagprinzip entstanden sind, das Verwaltungsverfahren aber noch nicht abgeschlossen ist (d.h. der Entzugsbescheid bzw. der Widerspruchsbescheid noch ausstehen). Hat sich vor dem maßgeblichen Abschluss des Verwaltungsverfahrens (Erlass des Ausgangsbescheids, im Fall des Widerspruchs des Widerspruchsbescheids, falls Bescheide bis zum 1.5.2014 noch nicht ergangen sind) die Rechtslage dadurch geändert, dass die bis zum 30.4.2014 begangenen Taten nicht mehr einzutragen wären und entsprechend zum 1.5.2014 zu löschen wären, so hat der Gesetzgeber die Punktebewertung rückwirkend zugunsten der Betroffenen verändert. Der Schluss auf die Nichteignung erweist sich dadurch als nicht gerechtfertigt. In diesem Fall ist das Tattagprinzip nicht streng anzuwenden, sondern auf die Rechtslage im maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Behördenverfahrens abzustellen. Das gilt auch mit Blick auf den Zweck des Punktsystems. Denn die Verbesserung der Verkehrssicherheit kann für die Zuwiderhandlungen nicht mehr als Argument angebracht werden, die der Gesetzgeber nicht mehr im Fahreignungsregister eintragungsbedürftig sieht. Durch die Anordnung einer Löschung bereits eingetragener Auffälligkeiten wird eine – verfassungsrechtlich ohne Weiteres zulässige – Rückwirkung zugunsten der Betroffenen statuiert.[32]

Anders ist das zu beurteilen, wenn das Verwaltungsverfahren bis zum 1.5.2014 bereits abgeschlossen war. Hier hat die Behörde auf der Grundlage der alten Rechtslage die entsprechenden gesetzlich vorgeschriebenen Konsequenzen angeordnet.

[31] VGH BW, Beschl. v. 2.9.2014 – 10 S 1302/14, NJW 2015, 186, juris Rn 11, im konkreten Fall Interessenabwägung zugunsten des Betroffenen; ebenso offen: SächsOVG, Beschl. v. 31.7.2014 – 3 B 152/14, juris Rn 6.
[32] VGH BW, Beschl. v. 2.9.2014 – 10 S 1302/14, NJW 2015, 186, juris Rn 11.

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