Rz. 6

In § 4 Abs. 2 S. 3 StVG ist jetzt ausdrücklich für das Entstehen der Punkte auf den Tattag abgestellt, an dem die Zuwiderhandlung begangen wurde. Zwar entspricht das der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum vorangegangenen Punktsystem.[5] Dadurch wird aber eine intransparente und komplizierte Bestimmungsmethode festgeschrieben. Insbesondere die "Überliegefrist" von einem Jahr bleibt weiter bestehen (§ 29 Abs. 6 S. 2 StVG).

Das bedeutet, dass sich das "Punktekonto" mit Begehung einer Zuwiderhandlung automatisch erhöht. Auch wenn die Auffälligkeit gar nicht bemerkt und erst wesentlich später (rechtskräftig) geahndet wird, sind die Punkte schon mit Begehung der Tat entstanden. Damit ist das für die Berechnung des Punktestandes komplizierte Nebeneinander von Tattagberechnung (für das Entstehen der Punkte) und Rechtskraftberechnung (für den Lauf der Tilgungsfrist) festgeschrieben. Fehler in der Praxis sind damit vorprogrammiert, die sich zulasten der Verkehrssicherheit auswirken können. Das Argument für diese Auffassung, dass möglichst früh auf den Verkehrsteilnehmer eingewirkt werden soll, überzeugt nicht. Denn in der Regel erfährt die Fahrerlaubnisbehörde erst nach rechtskräftigem Abschluss des Sanktionsverfahrens vom Punktestand und ergreift erst dann die vorgesehene Maßnahme. Im Vordergrund stand wohl die Befürchtung, dass ein Abstellen auf die Rechtskraft – was die Realität abbilden würde – zu dem vielfachen Versuch eines Hinauszögerns der Rechtskraft durch Rechtsmittel führen könnte, um so die Verringerung des Punktestandes durch Zeitablauf herbeizuführen. Das erscheint jedoch fragwürdig, da auch erst mit der Rechtskraft die gegenüber dem alten Recht verlängerte Tilgungsfrist zu laufen beginnt.

 

Rz. 7

Diese Diskrepanz hat den Gesetzgeber veranlasst, durch das Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes, der Gewerbeordnung und des Bundeszentralregistergesetzes vom 28.11.2014[6] insoweit klarzustellen,[7] dass die "Warn- und Erziehungsfunktion" des Punktsystems nicht mehr die Betonung haben soll, die sie in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts[8] hatte. Zuwiderhandlungen werden mit ihrer Auswirkung auf den Punktestand zum Zeitpunkt ihrer Begehung immer berücksichtigt. Das gilt unabhängig davon, ob aufgrund deren Begehung nach Bekanntwerden bei der Behörde bereits Maßnahmen getroffen wurden. Zweck dieser Modifizierung des Tattagprinzips ist damit eine Vorverlagerung der Maßnahmeschwelle.

Das bedeutet, dass eine Zuwiderhandlung, die zu einem Eintrag von Punkten in das Fahreignungsregister (FER) führt, den Punktestand erhöht, wenn der Behörde im Zeitpunkt des Ergreifens einer Maßnahme nach § 4 Abs. 5 S. 1 StVG diese Eintragung noch nicht bekannt war. Nach der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts[9] waren alle zum Zeitpunkt des Ergreifens einer Maßnahme begangenen Taten von dieser Maßnahme umfasst, auch wenn die Zuwiderhandlung der Behörde nicht bekannt war. Durch die Einfügung von § 4 Abs. 5 S. 6 StVG und § 4 Abs. 6 S. 4 StVG mit Wirkung zum 5.12.2014 wird geregelt, dass nur die Zuwiderhandlungen, die im Zeitpunkt des Ergreifens der Maßnahme der Behörde bekannt waren, von der Maßnahme umfasst sind. Wird später (also nach der Maßnahme) eine zu diesem Zeitpunkt bereits begangene, aber der Behörde noch nicht bekannt gewordene Tat übermittelt, so erhöht diese den Punktestand, da sie von der Maßnahme nicht umfasst wird. Dies bedeutet eine wesentliche Verschärfung des Tattagprinzips.

Das konterkariert die Argumentation im Gesetzgebungsverfahren, dass kein Anreiz zum Hinauszögern der Rechtskraft gegeben werden soll. Denn diese neue Regelung führt dazu, dass eine möglichst einheitliche Rechtskraft bei verschiedenen, mit Punkten belegten Zuwiderhandlungen gesucht wird, um so ein Umfassen einer zu treffenden Maßnahme für möglichst viele Taten zu erreichen und evtl. eine Punktereduzierung nach § 4 Abs. 6 S. 3 StVG in Anspruch nehmen zu können.

 

Beispiel

Am 29.9.2016 wird ein FE-Inhaber beim Stand von 6 Punkten nach § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 StVG schriftlich verwarnt. Am 5.10.2016 wird der Behörde eine weitere Zuwiderhandlung bekannt, die mit einem Eintrag von 2 Punkten belegt ist, die aber bereits am 31.8.2016 begangen wurde. Diese nachträglich bekannten 2 Punkte erhöhen den Punktestand. Der Betroffene hat damit 8 Punkte erreicht, ihm ist die FE nach § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 StVG zu entziehen.

Selbst wenn die verspätete Kenntnis darauf zurückzuführen ist, dass etwa ein Amtsgericht oder eine Staatsanwaltschaft versehentlich eine Entscheidung erst später weitergeleitet haben, muss sich die Fahrerlaubnisbehörde die Kenntnis einer anderen Behörde über eine rechtskräftig geahndete Zuwiderhandlung nur dann zurechnen lassen, wenn ein Berufen auf die Unkenntnis als rechtsmissbräuchlich einzustufen wäre. Das kann etwa der Fall sein, wenn die Verzögerung nicht nur auf einem bloßen Versehen beruht, sondern willkürlich erfolgt ist, insbesondere um eine Punktereduzierung zu verhindern. Denn – und das ist für di...

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