Rz. 99

Mr. Justice Biles, ein humorvoller englischer Richter, soll einmal den etwas verworrenen Vortrag eines Anwalts unterbrochen haben mit dem Vorschlag: "Versuchen Sie doch, die Tatsachen systematisch vorzutragen. Am besten chronologisch. Wenn Sie das nicht können, vielleicht alphabetisch."[112]

 

Rz. 100

Zwar kommen einem Geschädigten, der Verdienstausfall einfordert, die Darlegungs- und Beweiserleichterungen der § 252 BGB, § 287 ZPO zugute. Dies ändert aber nichts daran, dass es zur Ermittlung des Erwerbsschadens konkreter Anknüpfungstatsachen bedarf, die der Geschädigte darlegen und nachweisen muss.[113] Es genügt, wenn der Verletzte hinreichende Anhaltspunkte für eine Schadenschätzung nach § 287 ZPO liefert.[114]

 

Rz. 101

Beweisantritte durch "Einvernahme des Steuerberaters"[115] oder "Einholung eines Sachverständigengutachtens" ersetzen nicht substantiiertes Vorbringen,[116] sondern sind als Ausforschungsbeweis unzulässig.[117]

 

Rz. 102

Ein Sachvortrag ist erheblich, wenn Tatsachen vorgetragen werden, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht zu begründen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist grundsätzlich nur dann erforderlich, wenn diese für die Rechtsfolgen von Bedeutung sind. Dabei hängt es vom Einzelfall ab, in welchem Maße die Partei ihr Vorbringen durch die Darlegung konkreter Einzeltatsachen noch weiter substantiieren muss.[118] Ein Anspruch ist einem Unfallverletzten zu versagen, wenn sein Vortrag völlig unsubstantiiert ist und eine sachgemäße Rechtsanwendung schlechthin nicht zulässt.[119]

 

Rz. 103

Die Anforderung an die Substantiierungslast des Bestreitenden hängt davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner vorgetragen hat.[120] Regelmäßig genügt gegenüber einer Tatsachenbehauptung des darlegungspflichtigen Klägers das einfache Bestreiten des Beklagten.[121] Ob und inwieweit die nicht darlegungsbelastete Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, lässt sich aber nur aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag bestimmen, wobei die Ergänzung und Aufgliederung des Sachvortrags bei hinreichendem Gegenvortrag immer zunächst Sache der darlegungs- und beweispflichtigen Partei ist.[122]

 

Rz. 104

Eine darüber hinausgehende Substantiierungslast trifft die nicht beweisbelastete Partei ausnahmsweise dann, wenn der darlegungspflichtige Gegner außerhalb des von ihm darzulegenden Geschehensablaufs steht und die maßgebenden Tatsachen nicht näher kennt, während sie der anderen Partei bekannt und ihr ergänzende Angaben zuzumuten sind.[123]

 

Rz. 105

Das Gericht braucht die Sachaufklärung zwar nicht bis zur vollen Überzeugung von der endgültigen Schadenhöhe fortzusetzen, es darf aber einen substantiierten Vortrag zur Entwicklung der Schadenhöhe nicht von vornherein außer Acht lassen. § 287 ZPO erfasst grundsätzlich auch diejenigen Fälle, bei denen zur Schadensbemessung eine Zukunftsprognose erforderlich ist.[124] Maßgeblich für die Schadensbemessung ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung.[125]

 

Rz. 106

Steht der geltend gemachte Anspruch dem Grunde nach fest und bedarf es nun nur noch der Ausfüllung der Höhe, muss der Tatrichter auch bei Lücken oder sonstigen Unklarheiten im Vortrag immer nach pflichtgemäßem Ermessen beurteilen, ob nicht wenigstens die Schätzung eines Mindestanspruchs möglich ist.[126]

 

Rz. 107

Eine Klage, mit der die Summe mehrerer Schadenpositionen geltend gemacht wird, die die Verrechnung empfangener Teilzahlungen aber nicht erkennen lässt, ist unzulässig (unzulässige Saldoklage).[127] Den Kläger trifft eine Substantiierungspflicht bei einem auf mehrere Einzelforderungen gestützten Zahlungsantrag. Die Darlegungen des Klägers müssen erkennen lassen, welche Schadenposition er in welchem Umfang bereits befriedigt wissen will; ansonsten ist eine hinreichende Bestimmung des Streitgegenstands und der späteren Rechtskraft nicht möglich.[128]

[112] Zitat nach Harold Percy Romberg, Die Richter Ihrer Majestät – Portrait der englischen Justiz, 2. Aufl. 1966, S. 7.
[113] BGH v. 3.3.1998 – VI ZR 385/96 – DAR 1998, 231 = EWiR 1998, 393 (Anm. Grunsky) = MDR 1998, 595 = NJW 1998, 1634 = NZV 1998, 279 = r+s 1998, 196 = SP 1998, 241 = VersR 1998, 772 = zfs 1998, 210; KG v. 21.6.2010 – 12 U 20/10 – jurisPR-VerkR 18/2009, Anm. 4 (Anm. Jahnke) = SP 2011, 10 = SVR 2011, 223 = VRR 2010, 362; OLG Brandenburg v. 3.11.2005 – 12 U 74/05; OLG Frankfurt v. 11.3.2004 – 26 U 28/98 – zfs 2004, 452 (Anm. Diehl) (Es sind in jedem Fall ausreichende Anknüpfungstatsachen für eine Schätzung vorzutragen und gegebenenfalls nachzuweisen); OLG Hamm v. 1.7.1999 – 6 U 182/98 – SP 1999, 340; OLG Karlsruhe v. 3.6.2005 – 10 U 149/04 – SP 2005, 374; OLG München v. 15.9.2006 – 10 U 3622/99 – r+s 2006, 474 (Anm. Lemcke) (§ 287 ZPO entbindet nicht vollständig von der grundsätzlichen Beweislastverteilung und erlaubt nicht, zugunsten des Beweispflichtigen einen bestimmten Schadenverlauf zu bejahen, wenn nach den festgestellten Einzeltatsachen "alles offen" bleibt oder s...

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