Rz. 208

Wird eine Einigung im Nachhinein angefochten, so gilt sie damit nach § 142 BGB als von Anfang an nichtig. Diese Rechtsfolge ist auch für das Gebührenrecht beachtlich, sodass eine Einigungsgebühr nicht anfällt.[94] Die Gegenauffassung[95] vermag nicht zu überzeugen. Ist die Einigung nach materiellem Recht nichtig, so haben es die Anwälte gerade nicht erreicht, eine einigungsweise Erledigung herbeizuführen. Der angestrebte Erfolg ist nicht eingetreten. Hinzu kommt, dass infolge der Anfechtung der Einigung die Angelegenheit nicht erledigt ist und den Anwälten ohnehin weitere Gebühren entstehen. Es ist ihnen unbenommen, erneut eine – diesmal wirksame – Einigung abzuschließen (siehe Beispiel 130).

 

Beispiel 132: Einigung mit anschließender erfolgreicher Anfechtung

In einem Rechtsstreit über 10.000,00 EUR schließen die Parteien im Termin einen Vergleich. Die Einigung wird später wirksam nach § 123 Abs. 1 BGB wegen arglistiger Täuschung angefochten. Das Gericht entscheidet hiernach durch Urteil.

Infolge der Anfechtung setzt sich der Rechtsstreit fort. Allerdings entstehen die bereits angefallenen Gebühren nicht erneut (§ 15 Abs. 2 RVG),[96] es sei denn, zwischenzeitlich sind mehr als zwei Kalenderjahre vergangen (§ 15 Abs. 5 S. 2 RVG).[97]

Die zunächst angefallene Einigungsgebühr entfällt nachträglich wieder.

 
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV   798,20 EUR
  (Wert: 10.000,00 EUR)    
2. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV   736,80 EUR
  (Wert: 10.000,00 EUR)    
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 1.555,00 EUR  
4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   295,45 EUR
Gesamt   1.850,45 EUR
 

Rz. 209

Bleibt die Anfechtung erfolglos, so bleibt die Einigungsgebühr bestehen.

 

Beispiel 133: Einigung mit anschließender erfolgloser Anfechtung

In einem Rechtsstreit über 10.000,00 EUR schließen die Parteien im Termin eine Einigung. Der Beklagte erklärt später die Anfechtung des Vergleichs nach § 123 Abs. 1 BGB wegen arglistiger Täuschung. Das Gericht hält die Anfechtung für unbegründet und stellt durch Urteil den Fortbestand des Vergleichs fest.

Infolge der Anfechtung setzt sich der Rechtsstreit fort. Die Gebühren entstehen auch hier nicht erneut. Allerdings bleibt jetzt die bereits angefallene Einigungsgebühr bestehen.[98]

Abzurechnen ist wie im Beispiel 115.

 

Rz. 210

Wird das Verfahren über die Anfechtung eines Vergleichs durch einen (erneuten) Vergleich beendet, entsteht ebenfalls eine Einigungsgebühr.

 

Beispiel 134: Anfechtung des Vergleichs mit anschließender erneuter Einigung

In einem Rechtsstreit über 10.000,00 EUR schließen die Parteien im Termin eine Einigung. Der Beklagte erklärt später die Anfechtung des Vergleichs nach § 123 Abs. 1 BGB wegen arglistiger Täuschung. In der folgenden mündlichen Verhandlung schließen die Parteien einen neuen Vergleich, der Bestand behält.

Infolge der Anfechtung setzt sich der Rechtsstreit wiederum fort. Die Gebühren entstehen auch hier nicht erneut. Ob durch den ersten Vergleich eine Einigungsgebühr entstanden oder durch Anfechtung entfallen ist, kann jetzt dahinstehen, da die Einigungsgebühr jedenfalls durch den erneuen Vergleich ausgelöst worden ist.

Abzurechnen ist wie im vorangegangenen Beispiel 133.

 

Rz. 211

Anders verhält es sich, wenn zwischen Abschluss des ursprünglichen Vergleichs und der Fortsetzung des Verfahrens über die Anfechtung mehr als zwei Kalenderjahre liegen. In diesem Fall entstehen in analoger Anwendung des § 15 Abs. 5 S. 2 RVG alle Gebühren erneut.[99]

 

Beispiel 135: Anfechtung des Vergleichs nach Ablauf von zwei Kalenderjahren, Anfechtung greift nicht

In einem Rechtsstreit über 10.000,00 EUR hatten die Parteien im Dezember 2019 einen Vergleich geschlossen. Im Januar 2022 hat der Beklagte die Anfechtung des Vergleichs nach § 123 Abs. 1 BGB wegen arglistiger Täuschung erklärt. Daraufhin wird das Verfahren fortgesetzt. Das Gericht stellt nach mündlicher Verhandlung durch Urteil fest, dass der Vergleich wirksam ist und das Verfahren beendet hat.

Infolge der Anfechtung setzt sich der Rechtsstreit wiederum fort. Die Gebühren entstehen jetzt in analoger Anwendung des § 15 Abs. 5 S. 2 RVG erneut. Da die Anfechtung nicht durchgreift, bleibt die Vergleichsgebühr im Ausgangsverfahren erhalten.

Zu beachten ist hier allerdings, dass unterschiedliches Recht anzuwenden ist (§ 60 RVG).

 
I. Ausgangsverfahren (altes Recht)
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV   725,40 EUR
  (Wert: 10.000,00 EUR)    
2. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV   669,60 EUR
  (Wert: 10.000,00 EUR)    
3. 1,0-Einigungsgebühr, Nrn. 1000 Nr. 1, 1003 VV   558,00 EUR
  (Wert: 10.000,00 EUR)    
4. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 1.973,00 EUR  
5. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   374,87 EUR
Gesamt   2.347,87 EUR
II. Verfahren nach Anfechtung (neues Recht)
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV   798,20 EUR
  (Wert: 10.000,00 EUR)    
2. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV   736,80 EUR
  (Wert: 10.000,00 EUR)    
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 1.555,00 EUR  
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