Rz. 46

Dies kann bereits in einer sehr frühen Phase geschehen, wenn nämlich aufgrund der Schwere eines Unfalls der Verursacher im Rahmen eines Strafprozesses ermittelt werden soll. Die Polizei kann in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft einen Sachverständigen bereits zur Unfallaufnahme hinzuziehen. Sachverständige können eine Rufbereitschaft anbieten, so dass sie auch außerhalb ihrer Bürozeiten zu einem Zeitpunkt tätig werden können, bei dem sich die Situation so darstellt, wie sie in der Regel auch von der Polizei vorgefunden wird.

Dem Sachverständigen bietet sich in dieser Phase die Möglichkeit, sämtliche zur Verfügung stehenden objektiven Anknüpfungspunkte selbstständig zu sichern. Da er aufgrund seiner Sachkunde einschätzen kann, welche Anknüpfungspunkte für die Ausarbeitung erforderlich sind, kann er eine detailliertere Beweissicherung durchführen als Polizisten, die für Verkehrsunfälle nicht gesondert geschult sind. Er kann bereits an der Unfallstelle Vorstellungen zum Unfallablauf entwickeln und seine Spurensicherung darauf abstimmen. In dieser Phase liegt eine besondere Verantwortung auf ihm, weil Versäumnisse bei der Beweissicherung nachträglich nicht mehr korrigiert werden können. So verschwinden beispielsweise Splitterfelder und Endpositionen direkt bei der Räumung der Unfallstelle. Auch Aufzeichnungen in Tachografen oder Steuergeräten können überschrieben werden, wenn die Unfallfahrzeuge wieder in Betrieb gesetzt werden.

Der Sachverständige sollte sich bewusst sein, dass seine erste Begutachtung richtungsweisend für die Regulierung der Unfallfolgen ist. Sein Ergebnis kann darüber entscheiden, ob überhaupt ein Rechtsstreit begonnen wird. Hier getroffene Fehleinschätzungen lassen sich nachträglich nur mit großem Aufwand wieder korrigieren.

 

Rz. 47

In der Regel wird der Sachverständige aber erst tätig, nachdem das Unfallgeschehen bereits länger zurückliegt. Dies kann noch im Rahmen des Strafverfahrens der Fall sein. Die Beauftragung erfolgt üblicherweise durch die Staatsanwaltschaft. Deren Interesse liegt darin, den Schuldigen zu ermitteln und zur Verantwortung zu ziehen. Dem Beschuldigten muss sein Fehlverhalten eindeutig nachgewiesen werden. Dies bedeutet für den Sachverständigen, dass er sämtliche Unwägbarkeiten zugunsten des Beschuldigten annimmt und sein Gutachten dementsprechend abfasst. Im Rahmen des Strafverfahrens kann darauf verzichtet werden, den Ereignisbereich nach oben abzugrenzen, d.h., die Betrachtungen mit Annahmen zugunsten der Geschädigten durchzuführen.

 

Rz. 48

 

Praxistipp

Für den Juristen bedeutet dies, dass ein Gutachten im Strafprozess i.d.R. ganz andere Vorgaben als im Zivilverfahren als Grundlagen hat und daher eine uneingeschränkte Verwertung nach § 411a ZPO genau zu prüfen ist.

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