Rz. 53

Erreicht oder überschreitet ein FE-Inhaber zum wiederholten Mal 14 oder 18 Punkte nach dem Punktsystem des § 4 StVG a.F., ohne dass die Fahrerlaubnisbehörde die Maßnahme nach § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 StVG a.F. ergriffen hat, so wird sein Punktestand erneut gemäß § 4 Abs. 5 S. 1 StVG a.F. reduziert.[68] Denn jedes Unterlassen des Ergreifens der in § 4 Abs. 3 S. 1 StVG a.F. bei Erreichen eines bestimmten Punktestandes vorgeschriebenen Maßnahme führt nach dem Wortlaut der Norm eine Punktereduzierung nach § 4 Abs. 5 StVG a.F. nach sich. Das System der formalisierten Nichteignungsvermutung in § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 StVG a.F. ist darauf ausgelegt, dass dem Kraftfahrer zuvor bei den entsprechenden Punkteschwellen die im Gesetz vorgesehenen Hilfsangebote durch die Behörde unterbreitet werden. Erfolgt das nicht, hatte der Betroffene keine Möglichkeit sein Verhalten – auch unter Inanspruchnahme der Hilfestellungen – zu ändern.

Dem tritt zu Unrecht das OVG Koblenz entgegen.[69] Die zur Begründung angegebene teleologische Reduktion des § 4 Abs. 5 StVG a.F. überzeugt nicht. Nach dieser Meinung handele es sich um ein abgestuftes Maßnahmensystem, das sicherstellen soll, dass einem FE-Inhaber die FE nur dann entzogen werden soll, wenn die Maßnahmen des § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 und 2 StVG a.F. einmal durchlaufen wurden. Wäre das anders, d.h. würde die Punktzahl beim Untätigbleiben der Behörde immer wieder gemäß § 4 Abs. 5 S. 1 StVG a.F. reduziert, so könnte der Zweck des § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 StVG a.F., der darin liegt, Gefahren abzuwehren, die im Führen von Kfz durch ungeeignete Personen bestehen, allein durch die zeitweilige Untätigkeit der zuständigen Behörde nicht erreicht werden.[70] Für diese Reduzierung auf ein einmaliges Durchlaufen der Maßnahmen ergibt sich keine Rechtfertigung.

 

Rz. 54

In jedem Fall sind die nach § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3 StVG a.F. genannten Maßnahmen aber dann erneut zu ergreifen, wenn sich die in diesen Vorschriften genannten Punktestände (quasi in einem ordnungsgemäß durchlaufenen Verfahren) zum wiederholten Mal ergeben.[71] Nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 StVG a.F. kommt es nämlich nur darauf an, dass sich 14, aber nicht mehr als 17 Punkte "ergeben" haben. Ob dies früher einmal – oder auch mehrmals – der Fall war, ist unerheblich. Die Fahrerlaubnisbehörde muss deshalb nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 StVG a.F. die dort vorgesehenen Maßnahmen nicht nur bei einem erstmaligen Erreichen oder Überschreiten von 14 Punkten ergreifen, sondern auch dann, wenn sich der Punktestand in der Folgezeit, etwa aufgrund der Tilgung von Eintragungen, auf unter 14 Punkte reduziert und sich nach der Reduzierung bei dem Betroffenen erneut 14 Punkte "ergeben".[72] Das OVG NRW stellt dabei zu Recht auf die Zielrichtung des Maßnahmenkatalogs ab, wonach dem Mehrfachtäter stärker als bisher Angebote und Hilfestellungen zum Abbau von Defiziten gegeben werden sollen. Dabei soll durch diese Eskalation der Maßnahmen auch ein Ausgleich dafür geschaffen werden, dass das Gesetz durch die Regelung des § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 StVG a.F. bei Erreichen von 18 oder mehr Punkten nunmehr die Ungeeignetheit zum Führen eines Kfz vermutet.[73]

 

Rz. 55

Nach einem Beschluss des NdsOVG[74] soll die Konstellation jedoch dann nicht gegeben sein, wenn der Punktestand des Betroffenen nach Neuerteilung der FE nicht mehr unter 14 Punkte gesunken ist. Die Verwarnungs- und Hinweispflicht nach § 4 Abs. 3 Nr. 1 und 2 StVG a.F. werde nur beim Erreichen der jeweiligen Eingriffsstufe ausgelöst, nicht jedoch dann, wenn der FE-Inhaber bei Entziehung der FE innerhalb der Stufe verbleibe.

[68] OVG Brandenburg v. 16.7.2003, DAR 2004, 46; BayVGH v. 14.12.2005, DAR 2006, 169; Ziegert, zfs 2007, 602.
[69] OVG RP, Beschl. v. 18.7.2003 – 7 B 10921/03, zfs 2003, 522; allerdings hält das OVG Frankfurt/Oder (Beschl. v. 16.7.2003 – 4 B 145/03, DAR 2004, 46, 48) fest, dass ein FE-Inhaber, der innerhalb kurzer Zeit mehrere Verkehrsverstöße begeht, unter Anwendung des § 4 Abs. 5 S. 2 StVG a.F. trotz Erreichens von 18 Punkten – unter Umständen sogar mehrmals – auf 17 Punkte herabzustufen ist, bis ihm gegenüber die Maßnahme nach § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 StVG a.F. ergriffen worden ist. Dies sei im Regelungssystem des § 4 StVG a.F. begründet und v. Gesetzgeber in Kauf genommen worden.
[70] OVG RP v. 18.7.2003, zfs 2003, 522.
[71] OVG NRW, Beschl. v. 21.3.2003 – 19 B 337/03, VerkMitt. 2003, 63 = DAR 2003, 433 = VRS 105, 147 = NWVBL 2003, 354.
[72] OVG NRW VerkMitt. 2003, 63 = DAR 2003, 433 = VRS 105, 147.
[73] Dazu auch OVG NRW NZV 2000, 219, 220.
[74] NdsOVG, Beschl. v. 16.9.2003 – 12 ME 396/03, zfs 2004, 141 = VkBl. 2003 S. 819.

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