Rz. 99

BGH, Urt. v. 24.2.2015 – VI ZR 279/14, zfs 2015, 689 = VersR 2016, 271

Zitat

ZPO § 301; EGV 44/2001 Art. 2 Abs. 1, 6 Nr. 144/2001, 9 Abs. 1 Buchst. b, 11 Abs. 2

a) Ist eine Klage gegen mehrere einfache Streitgenossen erhoben worden und fehlt es bezüglich eines von ihnen an der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte, kann er durch Teilurteil aus dem Prozess entlassen werden.
b) Nach Art. 11 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden: EuGVVO) i.V.m. Art. 9 Abs. 1 Buchst. b EuGVVO kann der Geschädigte, der seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat, vor dem Gericht seines Wohnsitzes eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer erheben, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist und der Versicherer seinen Sitz im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates hat (Anschluss an BGH, Urt. v. 6.5.2008 –VI ZR 200/05, BGHZ 176, 276).
c) Art. 6 Nr. 1 EuGVVO eröffnet trotz Konnexität mit der Klage gegen den Versicherer diesen Gerichtsstand am Wohnsitz des Klägers nicht für eine Klage gegen den Versicherten oder Versicherungsnehmer, wenn dieser gemäß Art. 2 Abs. 1 EuGVVO seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als dem des Kläger hat. Die durch den sogenannten "Ankerbeklagten" vermittelte internationale Zuständigkeit nach Art. 6 Nr. 1 EuGVVO kann nur auf dessen Wohnsitzgerichtsstand (Art. 2 Abs. 1 EuGVVO) gestützt werden.

a) Der Fall

 

Rz. 100

Der Kläger begehrte Ersatz materiellen Schadens aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich am 10.12.2011 auf der Autobahn E 40 in Belgien ereignete. Der in Dortmund wohnhafte Kläger war Halter und Fahrer des unfallbeteiligten Pkw VW Transporter Kombi, die Beklagte zu 1 (im Folgenden Beklagte) war Fahrerin des ebenfalls unfallbeteiligten Kraftfahrzeugs und wohnte in Belgien. Ihr Kraftfahrzeug war bei der an den Rechtsmittelverfahren nicht beteiligten Beklagten zu 2 haftpflichtversichert. Dieser Haftpflichtversicherer hatte seinen Sitz in Belgien.

 

Rz. 101

Kläger und Beklagte fuhren mit ihren Fahrzeugen auf der Autobahn Richtung Ostende, auf der mittleren Fahrspur fuhr der Kläger mit seinem Fahrzeug auf das Fahrzeug der Beklagten auf. Es ist streitig, ob ein zuvor erfolgter Spurwechsel der Beklagten seinen Abstand zu ihr derart verkürzte, dass das Auffahren nach einer Bremsung der Beklagten für den Kläger trotz einer Vollbremsung nicht zu vermeiden war.

 

Rz. 102

Das Amtsgericht hatte mit Zwischenurteil vom 15.8.2013 festgestellt, dass die Klage gegen die Beklagte mangels örtlicher Zuständigkeit des angerufenen Gerichts unzulässig sei. Das Landgericht hat mit Urt. v. 18.6.2014 die Berufung des Klägers gegen das Zwischenurteil mit der Klarstellung zurückgewiesen, dass es sich um ein Teilurteil handele, dessen Tenor laute, dass die Klage gegen die Beklagte abgewiesen werde, und hat die Revision zugelassen.

Mit seiner Revision verfolgte der Kläger sein Begehren auf Verurteilung der Beklagten als Gesamtschuldnerin mit dem erstinstanzlich beklagten Haftpflichtversicherer in vollem Umfang weiter.

b) Die rechtliche Beurteilung

 

Rz. 103

Die Revision wandte sich ohne Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Klage habe durch Teilurteil als unzulässig abgewiesen werden dürfen.

Gemäß § 301 Abs. 1 S. 1 ZPO hat das Gericht die Endentscheidung durch Teilurteil zu erlassen, wenn von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen nur der eine oder nur ein Teil eines Anspruchs zur Endentscheidung reif ist. § 301 ZPO dient der Beschleunigung, soll aber auch die Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit der Entscheidung in ein und demselben Rechtsstreit gewährleisten (vgl. Senatsurt. v. 12.1.1999 – VI ZR 77/98, VersR 1999, 734 f.). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf ein Teilurteil nur ergehen, wenn die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen ausgeschlossen ist; dabei ist auch die Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung durch ein Rechtsmittelgericht zu berücksichtigen (vgl. Senatsurt. v. 29.3.2011 – VI ZR 117/10, BGHZ 189, 79 Rn 15). Eine solche Gefahr besteht in der Regel bei einer Mehrheit selbstständiger prozessualer Ansprüche, wenn zwischen ihnen eine materiell-rechtliche Verzahnung besteht oder die Ansprüche prozessual in ein Abhängigkeitsverhältnis gestellt sind (vgl. Senatsurt. v. 29.3.2011 – VI ZR 117/10, BGHZ 189, 79 Rn 16). Eine materiell-rechtliche Verzahnung kann bei subjektiver Klagehäufung, aber auch bei objektiver Häufung inhaltlich zusammenhängender Anträge auftreten (vgl. BGH, Urt. v. 28.11.2003 – V ZR 123/03, BGHZ 157, 133, 143). Ein Teilurteil über die Klage gegen einen von mehreren einfachen Streitgenossen ist daher in der Regel unzulässig, wenn die Möglichkeit besteht, dass es in demselben Rechtsstreit, auch im Instanzenzug, zu einander widersprechenden Entscheidungen kommt. Über ein Prozessrechtsverhältnis darf deshalb nicht vorab durch Teilurteil entschieden werden, wenn eine gemeinsame Be...

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