Rz. 93

Hinsichtlich der alkoholbedingten Bewusstseinsstörung bei anderen Verkehrsteilnehmern hat die Rechtsprechung folgende Werte ausgearbeitet:

 
Radfahrer ab 1,6 Promille (vgl. OLG Karlsruhe VersR 1999, 634)
Fußgänger ab 2,0 Promille (vgl. OLG Hamm r+s 2003, 167; OLG Köln VersR 2006, 255; OLG Saarbrücken zfs 338)
Beifahrer ab 2,0 Promille (vgl. OLG Hamm VersR 1997, 1344; OLG Karlsruhe VersR 1998, 836).

Es ist jedoch generell zweifelhaft, ob man den Begriff der Fahruntüchtigkeit mit dem der Bewusstseinsstörung nach den AUB gleichsetzen darf, da Versicherungsbedingungen immer so auszulegen sind, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhanges verstehen kann (vgl. BGH VersR 1999, 748). Gerade bei Beifahrern ist erhebliche Skepsis angebracht, ob per se aufgrund des Alkoholisierungsgrades von 2,0 Promille von einer Bewusstseinsstörung auszugehen ist. Es ist auch äußerst unwahrscheinlich, dass sich ein normaler und durchschnittlicher Versicherungsnehmer Gedanken macht, ob die Tätigkeit, die er gerade ausübt, in Kombination mit Alkohol zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann mit der Folge, dass entweder ein Ausschluss nach den AUB gegeben ist oder nicht. Ferner stellt sich auch die Frage, ob ein Versicherungsnehmer tatsächlich als durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung erkennen kann, dass leichte und mittlere Grade von Alkoholisierung eine Bewusstseinsstörung nach den AUB begründen, da der Wortlaut der AUB gerade hier keine Einschränkungen enthält, sondern lediglich von den Bewusstseinsstörungen spricht. Darüber hinaus unterliegen die Klauseln dem Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB).

 

Praxistipp

In einem solchen Fall kann der Anwalt auch argumentieren, dass es dem Versicherer problemlos möglich gewesen wäre, den Begriff der Bewusstseinsstörung näher zu erläutern oder den Hinweis auf eine Verkehrsuntüchtigkeit im Sinne der Kraftfahrzeugversicherungen als Parallele heranzuziehen. Darüber hinaus wäre es auch möglich gewesen, wie das in einigen Zusatzbedingungen auch der Fall ist, konkret mit Promillewerten zu arbeiten.

 

Rz. 94

Von daher sollte der Anwalt einen solchen Fall mit der nötigen Skepsis bearbeiten und notfalls das eine oder andere Mal auch einmal mutig versuchen, gerichtlich klären zu lassen. Möglicherweise kann mit einer geschickten Argumentation auch außergerichtlich mit dem Versicherer eine Einigung erzielt werden.

 

Rz. 95

Es kommt sehr häufig vor, dass Versicherer sich die polizeiliche Unfallakte genau durchlesen und schauen, welche Angaben der Versicherungsnehmer hinsichtlich der Unfallverursachung gemacht hat. Oftmals sagt der Versicherungsnehmer bei der Polizei von sich aus viel zu viel oder teilweise etwas Falsches, was nachher nicht mehr gerade gebogen werden kann. Dann, wenn Anhaltspunkte gegeben sind, beruft sich der Versicherer auf die sogenannte Bewusstseinsstörung innerhalb der AUB. Dies ist z.B. in Ziffer 5.1.1. AUB 99, 2008 geregelt oder auch in § 2 Abs. 1 AUB 94. Diese Angaben der polizeilichen Akte können z.B. sein, dass dem Versicherungsnehmer "schwarz vor Augen" wurde oder eine Kreislaufstörung, ein Schwächeanfall oder eine Kreislaufschwäche vorlag. Wenn solche Schlagwörter – wie eben erwähnt – in der Akte auftauchen, beruft sich der Versicherer oftmals auf die Bewusstseinsstörung und auf einen Ausschluss der AUB.

 

Praxistipp

Deswegen sollte der Versicherungsnehmer und Mandant, wenn dieser vom Anwalt befragt wird, welche Angaben er gegenüber der Polizei machen soll, generell darauf hingewiesen werden, dass er zunächst keine Angaben machen braucht, wenn er als Betroffener oder Beschuldigter vernommen wird. Soll er als Zeuge vernommen werden, empfiehlt es sich, auch eine Rücksprache mit seinem zuständigen Anwalt vorzunehmen. Mitunter werden seitens des Mandanten nicht korrekte Angaben oder falsche Angaben gemacht, die nachher nur schwer wieder gerade gerückt werden können. Nach der Rechtsprechung ist es nämlich so, dass eine Bewusstseinsstörung nach den AUB nicht den Eintritt völliger Bewusstlosigkeit voraussetzt. Es genügt insofern für den Ausschluss schon eine teilweise Beeinträchtigung und zwar dann, wenn man den Sicherheitsanforderungen seiner Umwelt in der konkreten Situation nicht mehr Herr wird. Für das sog. "Schwarz vor Augen werden" gibt es eine Reihe von Rechtsprechung (vgl. OLG Celle, r+s 2010, 476; OLG Düsseldorf, zfs 2013, 95; OLG Hamburg, r+s 2007, 386, bei dem es um einen plötzlichen Schwindelanfall ging, siehe auch hitzebedingte Kreislaufreaktion, BGH VersR 2008, 1683). Wenn diese Entscheidungen teilweise nicht im Zusammenhang mit dem Verkehrsrecht stehen, so können selbstverständlich diese Bewusstseinsstörungen oder vorübergehenden Beeinträchtigungen, die während des Straßenverkehrs aufgetreten sind, dementsprechend durchaus auch auf diese Situation anzuwenden sein. Es ist daher generell darauf zu achten, was in den Akten zum Unfallher...

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