Rz. 102

Nach § 2 IV AUB 88/94 und Ziff. 5.2.6. AUB 99/2008 sind krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen vom Versicherungsschutz ausgeschlossen. Dieser Ausschluss, der unter dem Begriff der "Psychoklausel" bekannt ist, ist in der Rechtsprechung und in der außergerichtlichen Praxis ein sehr umstrittener aber auch gleichzeitig sehr häufig vorkommender Ausschluss. Gerade bei schweren Verkehrsunfällen spielt diese psychische Ausschlussklausel oftmals eine Rolle, da neben den organischen Körperschäden auch psychische Gesundheitsschädigungen nach schweren Verkehrsunfällen sehr häufig vorkommen. Zudem wird in der Versicherungsbranche oftmals das Vorurteil vertreten, dass generell psychische Gesundheitsschädigungen nicht unter den Unfallversicherungsschutz der privaten Unfallversicherung fallen. Von daher ist es für den Anwalt, der Personenschäden bearbeitet, extrem wichtig, dass es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht so ist, dass generell psychische Gesundheitsschäden ausgeschlossen sind. Es bedarf vielmehr einer genauen Betrachtung des Einzelfalls. Im Einzelnen ist hier in der Rechtsprechung vieles streitig. Als generelles Prüfungsschema müssen jedoch zunächst zwei Fragen gestellt werden:

1. Liegt überhaupt ein unfallbedingter organischer Körperschaden vor, welcher die psychische Gesundheitsschädigung vermittelt haben kann? Wenn dies nicht der Fall ist, greift der Ausschluss in jedem Fall.
2. Trat die psychische Gesundheitsschädigung bzw. krankhafte Störung (also z.B. Depression oder neurologische Defizite) aufgrund des organischen Körperschadens oder wegen des Unfallgeschehens auf?

Dies ist das generelle Prüfungsschema. Allerdings ergibt sich bei Frage 2 schon ein Problem, weil die überwiegende Rechtsprechung nun schaut, ob die krankhafte Störung oder psychische Beeinträchtigung, wie z.B. Depression oder neurologische Defizite, aufgrund des organischen Körperschadens nachvollziehbar ist oder nicht. Nach der Rechtsprechung ist dies immer dann der Fall, wenn eine gravierende und andauernde Substanzverletzung vorliegt. Die Rechtsprechung argumentiert so, dass dann die psychische Gesundheitsschädigung als Reaktion auf die organische Verletzung zurückzuführen ist und nicht als Reaktion auf das Unfallgeschehen. In diesen Fällen ist die psychische Beeinträchtigung physisch hervorgerufen worden. Insofern ist im Folgenden auf bedeutende Urteile hinzuweisen, in denen diese Unterscheidung gemacht wird. Die wichtigsten Urteile lauten wie folgt:

a) BGH, Urt. v. 23.6.2004

 

Rz. 103

In dem ersten Urt. v. 23.6.2004 (zfs 2004, 422) hat der BGH festgehalten, dass der Leistungsausschluss für krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen, welcher in § 2 IV AUB 94 erfasst ist, nur für Gesundheitsschädigungen, die rein seelisch-psychische Reaktionen darstellen, aber nicht dagegen für solche Gesundheitsschädigungen, die organisch-psychischer Natur sind, gilt. Insofern ist es wichtig, dieses Urteil zu kennen, da Versicherer generell bei psychischen Schäden auf den Ausschluss hinweisen. Durch diese BGH-Entscheidung wird jedoch verdeutlicht, dass hier exakt zu differenzieren ist.

b) BGH, Urt. v. 29.9.2004

 

Rz. 104

In dem zweiten Urt. v. 29.9.2004 (zfs 2005, 142) hatte der BGH ausgeführt, dass krankhafte Störungen, die eine organische Ursache haben, gerade nicht gem. § 2 IV AUB 88 vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind.

c) OLG Hamm, Urt. v. 25.1.2006

 

Rz. 105

Schließlich hatte das OLG Hamm in seiner Entscheidung vom 21.2.2006 (zfs 2006, 335 ff.) dargelegt, dass der Ausschluss dann greife (§ 2 IV AUB 94), wenn der Unfall und seine psychischen Folgen quasi nur Auslöser einer bereits, wenn auch nur latent vorhandenen, psychischen Erkrankung sind. Im zugrunde liegenden Sachverhalt hatte sich der Kläger beim Abkuppeln eines Anhängers schwer verletzt. Der Kläger klagte anschließend über psychische Störungen bis hin zur Inkontinenz, Durchschlafstörungen und Somatisierungsstörungen. In dem Urteil hatte ein Sachverständiger jedoch ausgeführt, dass die eingetretenen psychischen Störungen auch durch ein anderes Ereignis hätten auftreten können, da die Störung sich hier in einer "narzisstischen Persönlichkeitsstruktur" des Klägers manifestiert hatte. Das Urteil des OLG Hamm ist aber gleichwohl von Bedeutung, da man wohl generell sagen kann, dass immer dann, wenn die psychischen Störungen durch die unfallbedingte Verletzung und die daraus resultierenden Beschwerden hervorgerufen werden, der Ausschluss gerade nicht greift.

 

Rz. 106

Insofern muss in jedem Fall exakt überprüft werden, ob die psychische Erkrankung Folge einer sich aus dem Unfall ergebenden organischen Erkrankung ist, wie z.B. einer HWS-Distorsion oder einer Beckenringfraktur oder ähnlichem. Wenn dies der Fall ist, dann greift die Ausschlussklausel gerade nicht. Es ist zu prüfen, ob die psychische Erkrankung auf der körperlichen Primärverletzung beruht. Ferner muss diese in angemessener Relation zum Verletzungsbild stehen. Da psychische Erkrankungen mitunter von erheblicher Dauer und auch Intensität sein können, hat dies auch erhebliche Ausw...

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