Rz. 51

Hier tritt die enterbende Wirkung automatisch mit dem Pflichtteilsverlangen oder dem sonstigen zu sanktionierenden Verhalten des Pflichtteilsberechtigten ein. Aus dieser Automatik können sich aber auch erhebliche Gefahren ergeben:[56]

Es ist klar zu formulieren, welches Verhalten des Pflichtteilsberechtigten zum Wegfall seiner Erbenstellung führt.
Ist die enterbende Wirkung bereits einmal eingetreten, so kann diese auch im Einverständnis mit den Abkömmlingen u.U. nicht wieder rückgängig gemacht werden, wenn der Anteil des illoyalen Abkömmlings den anderen Schlusserben bindend zufällt.[57]
Die Automatik verhindert, dass der Längerlebende individuell auf die entsprechende Lebenssituation reagieren kann, insbesondere wenn es anders kommt als gedacht. So kann z.B. die Pflichtteilsgeltendmachung im ersten Erbfall aus erbschaftsteuerlichen Gründen bei großen Nachlässen im Interesse der ganzen Familie gewünschtsein.
Bei der Schlusserbenstellung treten erhebliche konstruktive Schwierigkeiten ein: Solange die Pflichtteilsgeltendmachung noch möglich ist (also bis zum Verzicht oder zur Verjährung), sind die Abkömmlinge nur (konstruktive) Vorerben, die anderen, möglicherweise loyalen Kinder Nacherben. Erst mit endgültigem Bedingungseintritt oder -ausfall steht daher die Erbfolge endgültig fest.[58] Das bedeutet, dass wegen des sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes entgegen § 35 Abs. 1 S. 2 GBO das Grundbuchamt auch bei einem beurkundeten Testament oder Erbvertrag mit einer solchen Klausel einen Erbschein fordern kann, um klarzustellen, ob die Bedingung für den Nacherbfall bereits eingetreten ist.[59]
 

Rz. 52

Der Vorteil automatisch wirkender Ausschlussklauseln kann dagegen darin bestehen, dass

dem Längerlebenden gerade kein Entscheidungsspielraum gegeben wird, insbesondere wenn der längerlebende Ehegatte labil und leicht beeinflussbar erscheint;
der letzte Wille beider Ehegatten durchgesetzt wird, wenn der Längerlebende nach einem Pflichtteilsverlangen eines Kindes nicht mehr zum Testieren kommt, etwa bei einem testierunfähigen Erblasser.
 

Rz. 53

Auf alle Fälle sollten Tatbestand und Rechtsfolgen möglichst klar und konkret abgefasst werden.[60] Hinsichtlich der Voraussetzungen sollte bedacht werden, dass

der Pflichtteilsanspruch auch von Dritten geltend gemacht werden kann, die ihn nach Eintritt des Erbfalls vom Pflichtteilsberechtigten geerbt[61] oder als Sozialhilfeträger übergeleitet haben,[62] weshalb klargestellt werden sollte, dass in solchen Fällen dies nicht zu Lasten des Pflichtteilsberechtigten im zweiten Erbfall gehen darf;
in steuerlicher Hinsicht u.U. die Geltendmachung des Pflichtteils zu einer erheblichen Entlastung bei der Erbschaftsteuer führen und damit mitunter auch im Interesse des längerlebenden Ehegatten liegen kann;[63]
das Eingreifen einer solchen Klausel nach h.M. das Vorliegen eines (ungeschriebenen) subjektiven Tatbestandsmerkmals voraussetzt. Daher sollte die Bezeichnung "Strafklausel" vermieden werden,[64] ansonsten besteht die Gefahr, dass die gewünschte Sanktion erst bei einem "bewussten" oder gar erst "böswilligen Auflehnen" eintritt.[65]
 

Rz. 54

Als Tatbestandsvoraussetzungen für das Eingreifen einer Pflichtteilsklausel werden dabei in der Praxis verschiedene Formulierungen diskutiert.[66] Schlagwortartig kann man dabei mit Kornexl wie folgt unterscheiden:[67]

 

"Verlangen des Pflichtteils"[68]

u.U. ergänzt um die Wendung: "gegen den Willen des überlebenden Ehegatten"[69]

Auch bei notariell beurkundeten Verfügungen von Todes wegen nach der Rspr. auslegungsbedürftig.[70] Ist gemeint:

Auskunftsverlangen?
Geltendmachung des Wertermittlungsanspruchs?
einfache Zahlungsaufforderung?
die Mahnung?
das Geltendmachen von Sicherungsrechten?[71]
erst Rechtshängigmachen des Pflichtteilsanspruchs?
"Verlangen und erhalten"[72] Birgt die Gefahr einer einseitigen Bevorzugung bestimmter Abkömmlinge, wenn der Überlebende von sich aus – d.h. ohne vorheriges Verlangen – einen Abkömmling auszahlt.[73]
"Verlangen oder erhalten"[74] Schließt eine einvernehmliche Pflichtteilserfüllung zur Ausnutzung erbschaftsteuerlicher Vorteile aus, da dies zum Ausschluss im Schlusserbfall führen würde.
"Anspruch durchsetzen"[75] Ebenso wie beim "Verlangen" ist hier offen, ob die vorbereitenden Maßnahmen (Auskunft, Wertermittlung) die Sanktion auslösen.
"in Verzug begründender Weise geltend machen" Die wohl am ehesten zu empfehlende Lösung.[76]
 

Rz. 55

Aber auch der Regelung der Rechtsfolgen ist besondere Aufmerksamkeiten zu widmen. Diesbezüglich ist zu bestimmen, ob es zur Anwachsung des frei werdenden Teils der Erbschaft an die anderen Schlusserben kommen soll oder ob eine Ersatzberufung eintritt.[77] Dabei ist zu beachten, dass die reinen Pflichtteilsklauseln wegen ihrer bloß enterbenden Wirkung streng für sich betrachtet zwar nicht bindend oder wechselbezüglich sein können (vgl. §§ 2278 Abs. 2, 2270 Abs. 3 BGB). Wenn jedoch damit eine Schlusserbenbestimmung verbunden wird, so ist sie eine au...

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