Rz. 64

Die Socinische Klausel ist die "klassische Klausel" des Erbrechts im eigentlichen Sinn, geht sie doch auf den Sieneser Juristen Marianus Socini zurück, der 1556 gestorben ist. Der Klausel liegt folgende Überlegung zugrunde:[102]

Der Erblasser wendet dem Pflichtteilsberechtigten einen Erbteil zu. Er hält es aber für notwendig, diesen Erbteil mit Beschränkungen oder Beschwerungen i.S.v. § 2306 Abs. 1 BGB zu belasten, etwa mit einer Testamentsvollstreckung zur Sicherung der Fortführung der vom Erblasser zu seinen Lebzeiten verfolgten Zwecke. Nach § 2306 Abs. 1 BGB könnte der Pflichtteilsberechtigte aber die belastete Erbschaft ausschlagen und seinen Pflichtteil verlangen. Die damit verbundene Liquiditätsbelastung möchte jedoch der Erblasser vermeiden.
Daher wird folgender Zusatz bestimmt: "Für den Fall, dass der Bedachte den belasteten Erbteil ausschlägt, weil er mit der Beschwerung nicht einverstanden ist, wird er nochmals zum Erben eingesetzt. Er erhält dann aber nur eine Erbquote, die seinem Pflichtteil entspricht."[103]
 

Rz. 65

Letzteres ist dem Pflichtteilsberechtigten u.U. nicht ganz so "angenehm", weil er damit in eine Erbengemeinschaft mit allen Rechten und Pflichten eingebunden wird. Aber letztlich erlangt er durch die hilfsweise Zuwendung genau das, was dem Schutzzweck des § 2306 Abs. 1 S. 1 BGB a.F. entsprach: den unbelasteten halben gesetzlichen Erbteil.[104] Schlägt er auch diesen Erbteil aus, so verliert er alles. Diese Klausel stellt ihn daher vor die Wahl, entweder den größeren, aber belasteten Erbteil anzunehmen oder den unbelasteten in Höhe seines Pflichtteils.

 

Rz. 66

Umstritten war früher allerdings, welche Höhe der vorrangig zugewandte belastete Erbteil haben musste, insbesondere im Hinblick auf die nach § 2306 Abs. 1 S. 1 BGB a.F. eintretende automatische Unwirksamkeit entsprechend belastender Beschwerungen oder Beschränkungen. Entgegen der überwiegenden Literatur hat der BGH zumindest im Anwendungsbereich des § 2306 Abs. 1 S. 1 BGB a.F. die folgende Klausel für unwirksam erklärt: "Wenn meine Tochter … mit dem Testament nicht einverstanden ist, hat sie nur Anspruch auf Auszahlung des Pflichtteils."[105] Der BGH tendiert dabei offenbar dazu, derartige Verwirkungsklauseln generell für unwirksam zu halten. Für diese Meinung wurde insbesondere von Stimmen in der Literatur angeführt, dass § 2306 Abs. 1 S. 1 BGB a.F. zwingendes Recht sei und dadurch dem Pflichtteilsberechtigten unzulässigerweise eine fristgebundene Wahlpflicht auferlegt würde, die Erbschaft auszuschlagen, um seinen Pflichtteil zu erhalten, was mit dem Normzweck des § 2306 Abs. 1 S. 1 BGB a.F. (Erhaltung eines unbelasteten Erbteils in Pflichtteilshöhe) nicht vereinbar sei.[106] Teilweise wurde aber eine Erbeinsetzung unter der auflösenden Bedingung für möglich gehalten, dass der Pflichtteilsberechtigte die Beschwerungen nicht übernimmt,[107] was aber schon daran scheitert, dass dann eine (zumindest konstruktive) Nacherbfolge besteht, die aber bei der Falllage des § 2306 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB unwirksam wäre.[108]

 

Rz. 67

Bei der Falllage des § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB a.F., also wenn der belastete oder beschwerte Erbteil die Hälfte des gesetzlichen Erbteils des Pflichtteilsberechtigten überstieg, wurde demgegenüber nach früherem Recht die "klassische cautela socini" für wirksam gehalten.[109] Von vorsichtigeren Stimmen wurde dagegen der Kautelarpraxis der Rat gegeben, auch hier im Hinblick auf die Rspr. des BGH den sicheren Weg zu gehen und mit Vermächtniszuwendungen zu arbeiten, bei denen im Rahmen des § 2307 BGB diese Probleme nicht bestehen sollten.[110]

 

Rz. 68

Umstritten ist, wie die Rechtslage nach der Erbrechtsreform für die ab dem 1.1.2010 eintretenden Erbfälle zu beurteilen ist. Teilweise wird angenommen, dass nunmehr die Socinische Klausel uneingeschränkt zulässig ist.[111] Doch ist dies nicht so eindeutig. Denn nach der Erbrechtsreform wird der Pflichtteilsschutz unabhängig von der Höhe des hinterlassenen Erbteils nicht mehr durch die Unwirksamkeitslösung i.S.d. § 2306 Abs. 1 S. 1 BGB a.F. verwirklicht, sondern allein über die Ausschlagungslösung gem. § 2306 Abs. 1 S. 2 BGB a.F. Damit entfallen aber noch nicht die grundsätzlichen Bedenken gegen die cautela Socini: Denn anders als nach dem neuen gesetzlichen Modell des Pflichtteilsschutzes kann der Pflichtteilsberechtigte hier nicht frei zwischen belastetem oder beschwertem Erbteil einerseits und dem freien Pflichtteil andererseits wählen.[112] Vielmehr greift mit der Ausschlagung des belasteten Erbteils die hilfsweise angeordnete Zuwendung des unbelasteten Erbteils ein. Würde er diesen ausschlagen, um der ihm nicht genehmen Mitgliedschaft in der Erbengemeinschaft zu entgehen, so verlöre er nach der Grundregel von Ausschlagung und Pflichtteil den gesamten Pflichtteil, nur ein etwaiger Pflichtteilsrestanspruch (§ 2305 BGB) bliebe bestehen. Anstelle des "Pflichtteilschutzes" durch Ausschlagung kann er aufgrund dieser Klausel nur die Erbteilslösung wählen, ein Konzept, da...

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