Rz. 9

Unabhängig davon, ob außergerichtliche oder gerichtliche Maßnahmen der Jugendhilfe zur Überprüfung stehen, ist Anknüpfungspunkt stets die Frage, ob möglicherweise eine Verletzung fachlicher Standards vorliegt.[42] Problematisch ist hierbei, dass bislang entsprechende Standardisierungen nicht existieren[43] und diese wohl auch durch die jeweils gebotene Einzelfallprüfung eingegrenzt werden. Dass die dabei bestehende Problematik durch die Regelungen des Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetzes (KICK) aus dem Jahr 2005 nicht wesentlich verbessert werden konnte, hat der Gesetzgeber erkannt. Vor diesem Hintergrund sind die durch das BKiSchG in § 8a SGB VIII vorgenommenen Veränderungen zu sehen.[44] Eine Zielsetzung war dabei die Klarstellung der Aufgabenverteilung zwischen den Jugendämtern und den Leistungserbringern im Sinne des § 8a Abs. 2 SGB,[45] soweit es um Gefährdungseinschätzungen geht.[46] Der geltenden gesetzlichen Regelung ist daher zu entnehmen, dass die Aufgabe der Gefährdungseinschätzung[47] sich nicht von einem Träger der öffentlichen Jugendhilfe ableitet, sondern sich originär aus dem Betreuungsverhältnis zum Kind oder Jugendlichen ergibt.[48] Aber auch die Regelung in § 8a Abs. 5 SGB VIII stellt einen deutlichen Schritt zur weiteren Qualifizierung der Arbeit der Jugendämter dar. Bestehen danach gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung, so sind diese Informationen an den zuständigen örtlichen Träger weiterzugeben. Es soll insbesondere verhindert werden, dass bedingt durch einen Wohnortwechsel vorhandene Kenntnisse zu einer Kindeswohlgefährdung verloren gehen.[49] Dem Jugendamt obliegt zunächst eigenverantwortlich die Beurteilung, ob zur Abwendung einer möglichen Kindeswohlgefährdung öffentliche Hilfen geeignet sind und angeboten werden können.[50] Zugleich ist das Jugendamt verpflichtet, das Familiengericht anzurufen, wenn es zum Schutz eines Kindes ein gerichtliches Einschreiten für erforderlich hält. Dies ist insbesondere der Fall, wenn eine Kindeswohlgefährdung bereits festgestellt wurde und die Eltern nicht bereit sind, bei der Gefährdungsabwendung mitzuwirken.[51] Die grundsätzlich bestehende Verantwortungsgemeinschaft von Familiengericht und Jugendamt wird aber eingegrenzt durch die Letztverantwortlichkeit und das Letztentscheidungsrecht des Familiengerichts.[52]

 

Rz. 10

Ob im konkreten Einzelfall tatsächlich fachliche Standards verletzt wurden,[53] ist am ehesten überprüfbar, wenn ausdrückliche rechtliche Vorgaben nicht berücksichtigt wurden. Hiervon erfasst werden etwa:

die rechtlich fehlerhafte Beratung,[54]
die Verletzung normierter Verpflichtungen zur Beteiligung bestimmter Personen vor oder nach Einleitung von Jugendhilfemaßnahmen (z.B. §§ 8 Abs. 1, 36 Abs. 1, 42 Abs. 2, 3 SGB VIII)[55] oder auch
die mangelnde Inanspruchnahme fachspezifischer Stellungnahmen oder Unterstützungen (z.B. §§ 35a Abs. 1a, 13 Abs. 4 SGB VIII).
[42] Münder, Rechtsfolgen bei Verletzung professioneller Standards, ZfJ 2001, 401; Schindler, Die Haftung des Jugendamtes bei Verletzung fachlicher Standards, FPR 2012, 539.
[43] Jordan, Zwischen Kunst und Fertigkeit – Sozialpädagogisches Können auf dem Prüfstand, ZfJ 2001, 48; Trenczek, Garantenstellung und Fachlichkeit – Anmerkungen zur strafrechtlich aufgezwungenen aber inhaltlich notwendigen Qualitätsdiskussion in der Jugendhilfe, ZfJ 2002, 383; DIJuF-Rechtsgutachten vom 10.1.2005, JAmt 2005, 231.
[44] Meysen, Bundeskinderschutzgesetz: gesetzliche Programmatik im Baukastensystem, FamRZ 2012, 405; Schimke, Das neue Bundeskinderschutzgesetz – erste Einschätzungen und Perspektiven, JAmt 2011, 621;
[45] Zu den zentralen fachlichen Aufgaben der "erfahrenen Fachkraft" im Sinne des § 8a Abs. 4, S. 1 Nr. 2 SGB VIII vgl. Heinitz, JAmt 2012, 558 bzw. zu deren Qualifikation vgl. Köckeritz/Dern, JAmt 2012, 562; Institut für soziale Arbeit e.V./Deutscher Kinderschutzbund Landesverband NRW/Bildungsakademie BiS, ZKJ 2013, 115.
[46] Zur Zusammenarbeit zwischen dem Jugendamt und der Kinderschutzfachkraft Moch/Junker-Moch, FPR 2011, 319.
[47] Zu den notwendigen Schritten und der Dokumentation einer Gefährdungseinschätzung vgl. Bundeskonferenz für Erziehungsberatung, ZKJ 2013, 25.
[48] BT-Drucks 17/6256, S. 20.
[49] BT-Drucks 17/6256, S. 21; zur örtlichen Zuständigkeit bei Kindeswohlgefährdung siehe DIJuF-Rechtsgutachten JAmt 2014, 514; 2012, 377; 2009, 367.
[50] OLG Koblenz FamRZ 2012, 1955.
[51] Lewe, FPR 2012, 440; vgl. Sommer, ZKJ 2013, 68 zu der Problematik, ob die Nichtwahrnehmung von Vorsorgeuntersuchungen gem. § 1 Abs. 3 HKiSchG eine mögliche Kindeswohlgefährdung indiziert.
[52] VGH Hessen ZKJ 2013, 82 m. Anm. Sommer zur verwaltungsgerichtlichen Überprüfung der Gefährdungsmitteilung des Jugendamts an das Familiengericht nach § 8a SGB VIII, ZKJ 2013, 68; OLG Koblenz FamRZ 2012, 1955; zur Gefährdungsmitteilung wegen der Nichtteilnahme an Vorsorge- und Früherkennungsuntersuchungen siehe Mortsiefer, NJW 2014, 3543; Fahl, Die Verantwortungsgemeinschaft von Famil...

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