I. Funktion des Erbscheins

1. Warum benötigt man einen Erbschein?

 

Rz. 2

Gemäß § 2353 BGB stellt der Erbschein ein Zeugnis des Nachlassgerichts dar, das bekundet, wer Erbe ist und welchen Verfügungsbeschränkungen dieser unterliegt. Der Erbschein wird zum Beweis des Erbrechts benötigt,[2] da im Rechtsverkehr nicht bekannt ist, ob Verfügungen von Todes wegen, die auch nahe Verwandte von der Erbfolge ausschließen können, vorliegen. Auch Ausschlagungen, Erbunwürdigkeitserklärungen oder Erbverzicht können zu einer von der gesetzlichen Erbfolge abweichenden Rechtslage führen.[3]

[2] Schlüter, Rn 557.
[3] Erman/Schlüter, § 2353 Rn 1.

2. Rechtsnatur des Erbscheins

 

Rz. 3

Der Erbschein bezeugt als amtliche Bescheinigung folgende Punkte:

Person des Erblassers
Person des Erben (Name, Todestag und letzter Wohnsitz)
Umfang des Erbrechts zur Zeit des Erbfalls (Erbquote)
Nacherbschaft
die Anordnung der Testamentsvollstreckung.

Über den Umfang des Nachlasses, speziell zu der Frage, welche Gegenstände zur Erbmasse gehören, trifft der Erbschein keine Aussage. Auch schuldrechtliche Ansprüche, etwa aus Vermächtnissen oder Pflichtteilsrechte, sind nicht Inhalt des Erbscheins, da sie die Verfügungsmacht des Erben nicht berühren.[4] In der Praxis benötigt man einen Erbschein vor allem zur Vorlage beim Grundbuchamt, § 35 GBO, oder bei Banken.

[4] Staudinger/Herzog, § 2353 Rn 426; MüKo/J. Mayer, § 2353 Rn 23.

3. Verhältnis zur Feststellungsklage

a) Grundsätzliches

 

Rz. 4

Die Feststellungsklage im Zivilprozess ist neben dem Erbscheinsverfahren möglich. Wird diese Klage erhoben und gleichzeitig ein Erbschein beantragt, kann das Feststellungsverfahren auch nicht nach § 148 ZPO ausgesetzt werden.[5]

Hingegen wird die Zulässigkeit einer Aussetzung des Erbscheinsverfahrens gemäß § 21 Abs. 1 FamFG bejaht.[6]

Auch ist ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Feststellungsklage noch dann anerkannt, wenn ein Erbschein bereits beantragt oder bereits erteilt wurde.[7] In diesem Fall kann neben dem Feststellungsbegehren noch ein Antrag auf Rückgabe des Erbscheins nach § 2362 BGB gestellt werden.

[5] BayObLGZ 86, 244; KG FamRZ 1968, 219; Thomas/Putzo/Reichold, § 148 Rn 9; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, § 148 Rn 14.
[6] BayObLG FamRZ 1999, 334, 335; 1969, 676.
[7] BGH NJW 1983, 277.

b) Bindungswirkung

 

Rz. 5

Der Erbschein ist für das Prozessgericht nicht bindend.[8] Dies lässt sich schon daraus ableiten, dass der Erbschein ja auch jederzeit eingezogen werden kann, § 2361 BGB. Der Erbschein stellt auch keine Urkunde im Sinne des § 580 Nr. 7b ZPO dar, die für eine Wiederaufnahme des Verfahrens bedeutsam wäre.

Anders als der Erbschein erwächst die zivilprozessuale Entscheidung in Rechtskraft. Sie bindet auch das Nachlassgericht in einem parallel anhängigen oder künftigen Erbscheinsverfahren.[9] Diese Bindungswirkung besteht aber nur innerhalb der subjektiven Grenzen der Rechtskraft. Die Bindungswirkung steht aber nicht entgegen, wenn neue Tatsachen, z.B. ein jüngeres Testament, bekannt werden. Insoweit kann der Einwand der arglistigen Ausnutzung der Rechtskraft in Betracht kommen.[10]

Die Tendenz geht wohl zunehmend dahin, dass das Erbscheinsverfahren die Feststellungsklage verdrängt.

[8] BGHZ 47, 58, 66; BayObLG FamRZ 1999, 334, 335; 1093; Staudinger/Herzog, Einl. zu § 2353 Rn 12; Erman/Schlüter, § 2353 Rn 3; Jansen, § 31 Rn 10.
[9] OLG Frankfurt ZEV 2016, 275: Bindung auch an ein rechtskräftiges Versäumnisurteil.
[10] BGH NJW 1951, 759.

II. Wirkung des Erbscheins

1. Vermutungswirkung

 

Rz. 6

Entsprechend einer Grundbucheintragung kommt auch dem erteilten Erbschein eine Vermutungswirkung nach § 2365 BGB zu:[11] Es wird vermutet, dass demjenigen, welcher im Erbschein als Erbe bezeichnet ist, das in dem Erbschein angegebene Erbrecht zusteht und dass er nicht durch andere als die angegebenen Anordnungen beschränkt ist. Als Beschränkungen kommen in Betracht die Nacherbfolge, § 352b Abs. 1 FamFG (bislang § 2363 BGB), und die Testamentsvollstreckung, § 352b Abs. 2 FamFG (bislang § 2364 BGB). Sind derartige Beschränkungen im Erbschein nicht enthalten, wird negativ vermutet, dass sie nicht bestehen. Umstritten ist, ob der Erbschein bei aufgeführten Verfügungsbeschränkungen positiv deren Bestehen bezeugt. Die h.M.[12] lehnt dies ab, da eine diesbezügliche positive Vermutung gesetzlich nicht vorgesehen ist. Auch Umstände, die nicht zwingend zum Inhalt des Erbscheins gehören nehmen nicht an der Vermutungswirkung des § 2365 BGB teil, wie z.B. Vermächtnisse, Pflichtteilsansprüche etc. Auch der Berufungsgrund wird nicht von der Vermutungswirkung erfasst.[13]

[11] Staudinger/Herzog, § 2365 Rn 2.
[12] OLG Frankfurt NJW 1957, 265; Palandt/Weidlich, § 2365 Rn 1; MüKo/J. Mayer, § 2365 Rn 11, 12.
[13] Staudinger/Herzog, § 2365 Rn 14.

2. Öffentlicher Glaube des Erbscheins

 

Rz. 7

Der Erbschein schützt den rechtsgeschäftlichen Erwerb.[14] Die Gutglaubensvorschriften der §§ 2366, 2367 BGB setzen ein Verkehrsgeschäft voraus. Daran fehlt es bei Rechtsgeschäften innerhalb der Erbengemeinschaft.[15] Zwar besteht nach Erteilung eines Erbscheins keine materielle Rechtskraft für den Bestand des ausgewiesenen Erbrechts. Zugunsten des Rechtsverkehrs wird jedoch eine Richtigkeitsfiktion aufgestellt, § 2366 BGB.

Erwirbt jemand einen Erbschaftsgegenstand, so gi...

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