Rz. 5

Maßgebliche gesetzliche Vorschriften für das selbstständige Beweisverfahren sind die §§ 485–494a ZPO. Sie regeln, unter welchen Voraussetzungen ein selbstständiges Beweisverfahren eröffnet ist, enthalten besondere Verfahrensvorschriften und sehen im Übrigen den Rückgriff auf allgemeine Bestimmungen vor.

 

Rz. 6

Die betreffenden Vorschriften eröffnen zwei selbstständige Verfahrensarten mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Beweiserhebungsmöglichkeiten:

das während und außerhalb eines anhängigen Rechtsstreits zulässige Eilverfahren (§ 485 Abs. 1 ZPO),
das sog. "Feststellungsverfahren bei besonderem rechtlichem Interesse", soweit ein Rechtsstreit[10] noch nicht anhängig ist (§ 485 Abs. 2 ZPO).
 

Rz. 7

In § 492 Abs. 1 ZPO wird auf die allgemeinen Regeln über die Beweisaufnahme verwiesen, jedoch nur bezogen auf diejenigen Beweismittel, die nach der ZPO innerhalb des selbstständigen Beweisverfahrens ausdrücklich zugelassen sind. In einem Eilverfahren nach § 485 Abs. 1 ZPO gelten also die Regeln für die Einnahme des Augenscheins, die Vernehmung von (sachverständigen) Zeugen und die Begutachtung durch einen Sachverständigen. Für die Beweiserhebung in einem selbstständigen Beweisverfahren nach § 485 Abs. 2 ZPO ist hingegen nur die Einholung eines Sachverständigengutachtens vorgesehen.

[10] Zum Begriff MüKo-ZPO/Schreiber, § 485 ZPO Rn 17.

1. Das Eilverfahren gem. § 485 Abs. 1 ZPO

 

Rz. 8

Das Eilverfahren gem. § 485 Abs. 1 ZPO ist zulässig während und außerhalb eines Hauptsacherechtsstreits, wobei entweder die Zustimmung des Gegners oder die Besorgnis des Verlustes oder der erschwerten Benutzung des Beweismittels erforderlich ist.

a) Antrag

 

Rz. 9

Der Antrag muss enthalten:

die Bezeichnung des Gegners,
die Bezeichnung der Tatsachen, über die Beweis erhoben werden soll,
die Bezeichnung des Beweismittels, dessen Verlust droht,
die Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO) der Tatsachen zur Zulässigkeit des Eilverfahrens (Zustimmung des Gegners oder drohender Beweismittelverlust) und zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichts (u.a. Streitwert der potenziellen Hauptsache). Als Mittel der Glaubhaftmachung kommen dabei Urkunden und die eidesstattliche Versicherung in Betracht. Die Richtigkeit des Parteivorbringens muss nicht gewiss, sondern nur überwiegend wahrscheinlich sein.[11]
 

Rz. 10

 

Hinweis

Soweit eine Begutachtung nach § 485 Abs. 1 ZPO erfolgen soll, sieht § 485 Abs. 1 ZPO nicht zwingend eine schriftliche Begutachtung durch den Sachverständigen vor. Es kann daher hilfreich sein, gegenüber dem Gericht im Antrag anzuregen, ob die Begutachtung mündlich (Vorteil häufig Zeitersparnis) oder schriftlich (Vorteil meist bessere Klarheit und Prüfbarkeit) erfolgen soll. Das Gericht entscheidet über den Antrag letztlich nach Ermessen (§ 411 ZPO).

[11] BGH MDR 1996, 639; Zöller/Greger, § 294 ZPO Rn 6.

b) Voraussetzungen

 

Rz. 11

Das Eilverfahren nach § 485 Abs. 1 ZPO ist eröffnet, wenn der Gegner seine Zustimmung zu dem Antrag erteilt. Dies ist nur selten der Fall, kommt aber gerade zwischen Bauunternehmen mitunter vor. Die Erklärung der Zustimmung ist nicht anfechtbar, da es sich um eine Prozesshandlung handelt. Sie kann mündlich oder schriftlich gegenüber dem Gericht (auch zu Protokoll der Geschäftsstelle) und dem Antragsteller (dann Glaubhaftmachung erforderlich) erklärt werden.

 

Rz. 12

Der Beweismittelverlust muss sich immer aus den tatsächlichen Umständen ergeben. Ein drohender Rechtsverlust (Verjährung) ist kein Fall des Eilverfahrens nach § 485 Abs. 1 ZPO.[12]

 

Rz. 13

Die Gründe für den zu besorgenden Beweismittelverlust können persönliche sein, wie z.B. Erkrankung eines Zeugen, dessen hohes Alter oder dessen künftige Unerreichbarkeit im Ausland. Daneben kann vor allem ein Beweismittelverlust deshalb drohen, weil Ware typischerweise verdirbt oder durch den Baufortschritt in einem Baugeschehen ein gegenwärtiger Zustand/Mangel einer Sache oder eines Gewerkes verändert wird.

 

Rz. 14

 

Beispiel

Zwar genügt die Befürchtung der Beeinträchtigung der Erinnerung etwaiger Zeugen bis zu einer etwaigen Vernehmung nicht zur Zulässigkeit, doch kann eine Erkrankung von Zeugen mit infauster Prognose einen Antrag rechtfertigen. Auch kann die Begutachtung des aktuellen Gesundheitszustands des Patienten Ziel eines Antrags nach § 485 Abs. 1 ZPO sein. Insbesondere in Zahnarzthaftungssachen kommt dies in Betracht, da häufig nur eine zügige Begutachtung den maßgebenden Zustand festhalten kann, wenn weitere (eine spätere Sachaufklärung erschwerende) Behandlungsmaßnahmen dringlich sind.[13]

[12] Zöller/Herget, § 485 ZPO Rn 5.
[13] Vgl. etwa OLG Koblenz OLGR 2003, 332.

2. Das isolierte Beweisverfahren gemäß § 485 Abs. 2 ZPO

a) Ausgangslage

 

Rz. 15

Mit dem isolierten Beweisverfahren gem. § 485 Abs. 2 ZPO wird die Möglichkeit eröffnet, den Sachverhalt vor einem streitigen Verfahren durch schriftliche Begutachtung klären zu lassen, wenn dafür ein rechtliches Interesse besteht und die Feststellungen der Vermeidung eines Rechtsstreites dienen können. Erforderlich ist zusätzlich, dass einer der in § 485 Abs. 2 S. 1 ZPO enumerativ genannten Gegenstände begutachtet werden soll.[14] Nach § 485 Abs. 2 Nr. 1–3 ZPO kann e...

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