Rz. 33

Wird beispielsweise in einem Strafverfahren wegen des Vorwurfes der fahrlässigen Tötung ein Sachverständiger beauftragt, so erfolgt diese Beauftragung häufig bereits im Ermittlungsverfahren. Die Ermittlungsbehörden haben regelmäßig unmittelbar nach dem Unfall bereits Zeugen vernommen. Diese Zeugenvernehmungen gelangen zur Kenntnis des Sachverständigen. Er wird unter Umständen geneigt sein, die Aussagen nicht nur wiederzugeben, sondern auch zu bewerten. Die Bewertung von Zeugenaussagen ist jedoch die originäre Aufgabe des Richters.

Es ist im weiteren Verfahrensverlauf darauf zu achten, ob die vom Sachverständigen getroffenen Annahmen hinsichtlich der Zeugenaussagen sich auch in der Hauptverhandlung im Rahmen der Befragung von Zeugen bestätigen. Gegebenenfalls muss der Sachverständige sein Gutachten ändern, falls die Zeugen ihre Aussagen modifizieren oder wenn Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen bestehen. Die Verteidigung muss unter Umständen den Sachverständigen entsprechend befragen.

 

Rz. 34

Häufig fehlen jedoch für die Unfallanalyse physikalische Anknüpfungspunkte. Insbesondere wenn es darum geht, mit welcher Geschwindigkeit ein Fußgänger beispielsweise eine Straße überquert hat, können nähere Angaben oft nur über Zeugenaussagen bzw. Aussagen der unfallbeteiligten Personen gewonnen werden. Die Aussagen von Zeugen entwickeln sich häufig im Laufe eines Verfahrens. Vielfach fallen gerade schriftlich von den Ermittlungsbehörden eingeholte Zeugenaussagen sehr karg aus. Werden die Zeugen dann zu einem späteren Zeitpunkt vernommen, geben sie oft detailliertere Auskünfte. Der Sachverständige wird häufig geneigt sein, die detaillierteren Auskünfte seiner Begutachtung zugrunde zu legen. Geschieht dieses, so ist höchste Vorsicht geboten.

 

Rz. 35

Regelmäßig tritt bereits in den ersten Tagen unmittelbar nach einem Unfall ein erheblicher Erinnerungsverlust ein. So wurde festgestellt, dass in den ersten beiden Tagen nach der Wahrnehmung der umfangreichste Erinnerungsverlust erfolgt mit dem Er­gebnis, dass am Ende des zweiten Tages etwa noch 20 % des ursprünglich beherrschten Erlebnisstoffes erinnert werden kann. Danach schließt sich nur noch ein geringer Erinnerungsverlust an. Letztlich wird man etwa 10 % der ursprünglich verfügbaren Erinnerung abrufen können.[48]

Weber schreibt daher insoweit zu diesem Phänomen, es handele sich um ein eindeutiges Zeichen dafür, dass die Geschichte des Unfalls in der Zwischenzeit im Gehirn neu geschrieben wurde.[49]

Es ist somit stets darauf zu achten, ob in die Begutachtung Schlussfolgerungen eingehen, die auf Zeugenaussagen basieren. Ordnungsgemäß wird ein Gutachten nur dann erstattet, wenn der Gutachter die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen deutlich macht.[50]

[48] Vgl. Grohmann/Schulz, DAR 1980, 7476.
[49] Vgl. Weber, in: Berz/Burmann/Heß, Kap. 21A Rn 74.
[50] Vgl. Weber, in: Berz/Burmann/Heß, Kap. 21A Rn 75.

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