Rz. 9

Der Beschuldigte kann durch Stellen eines Beweisantrages die Anhörung eines Sachverständigen erreichen. Der Beweisantrag darf nur unter den Voraussetzungen des § 244 Abs. 2 bis 4 StPO abgelehnt werden.

Wenn das Gericht die Anhörung eines Sachverständigen mit der Begründung ablehnen will, es besitze selber die erforderliche Sachkunde, so muss es im Urteil seine eigene Sachkunde jedenfalls dann plausibel machen, wenn es mehr als Allgemeinwissen in Anspruch nimmt.[6]

Zitat

"Da die Auswirkungen von Alkohol und bestimmten Medikamenten auf die Erinnerungsfähigkeit spezifisches Fachwissen darstellt, das nicht Allgemeingut von Richtern ist, hätte die Sachkunde einer näheren Darlegung bedurft."[7]

 

Rz. 10

Ein erfahrener Verkehrsrichter kann einfache technische Fragen allerdings ebenso beantworten wie solche, die zur allgemeinen Lebenserfahrung gehören. Soweit es im Verfahren um die Auswertung eines Fahrtenschreibers geht, bedarf es der Hinzuziehung eines Sachverständigen nur in Ausnahmefällen. Wenn es um die genaue Entwicklung der Geschwindigkeit vor einem Unfall ankommt, es also um die Auswertung eines kurzen Zeitraumes geht, ist allerdings die Einholung eines Sachverständigengutachtens regelmäßig erforderlich.

Zitat

"Einem erfahrenen Verkehrsrichter ist im Regelfall die geforderte Sachkunde für die Auswertung von Diagrammscheiben zu unterstellen, ohne daß es der Hinzuziehung eines Sachverständigen bedarf. Geschwindigkeitsfeststellungen, die durch Auswertung der von einem Fahrtenschreiber auf einem Schauplatz aufgezeichneten Daten vorzunehmen sind, setzt nicht in jedem Fall eine besondere Sachkunde voraus. Einfache technische Fragen kann ein in der Bearbeitung von Bußgeldsachen erfahrener Tatrichter selbst beantworten, insbesondere dann, wenn die Betrachtung eines Schauplatzes mit bloßem Auge ausreicht, um die erforderlichen Feststellungen mit der gebotenen Genauigkeit zu treffen. Dies ist dann der Fall, wenn der Schauplatz deutliche und ohne weiteres ablesbare Aufzeichnungen enthält, die eine exakte Zuordnung ermöglichen (…). Der Tatrichter bedarf zur sachgerechten und einwandfreien Auswertung der Aufzeichnungen allerdings dann sachverständiger Hilfe, wenn beispielsweise die Ermittlungen etwaiger Geschwindigkeitsveränderungen innerhalb einer kurzen Strecke (wenige Meter) und Zeitspanne (wenige Sekunden) gefordert ist."[8]

 

Rz. 11

Setzt die Beantwortung der Beweisfrage Anwendungs- und Auswertungswissen voraus, das nur in besonderer Ausbildung oder praktischer Tätigkeit erworben werden kann, so reichen theoretische Kenntnisse grundsätzlich nicht aus.[9]

 

Rz. 12

Der Antrag auf Anhörung eines Sachverständigen kann zudem mit der Begründung zurückgewiesen werden, der Sachverständige sei einungeeignetes Beweismittel. Dieser Ablehnungsgrund greift gegebenenfalls ein, wenn die notwendigen Anknüpfungstatsachen für das zu erstellende Gutachten nicht vorliegen. Völlig ungeeignet ist das Beweismittel Sachverständiger jedoch nur dann, wenn das Gericht ohne jede Rücksicht auf das bisherige Beweisergebnis sagen kann, dass sich mit dem angebotenen Beweismittel das in Aussicht gestellte Ergebnis nach sicherer Lebenserfahrung nicht erzielen lassen wird.[10] Der Sachverständige ist somit nicht schon dann ein völlig ungeeignetes Beweismittel, wenn er zwar sichere und eindeutige Schlüsse aus dem ihm zur Verfügung stehenden Material nicht ziehen kann, aber die Möglichkeit besteht, dass er argumentativ verwertbare Aussagen zum Beweis der Behauptung machen oder indizielle Anknüpfungstatsachen ermitteln kann.

Zitat

"Zwar kennt die Rechtsprechung den Begriff der “relativen Ungeeignetheit' eines Sachverständigen als Beweismittel. Sie liegt vor, wenn der Sachverständige aus dem ihm zur Verfügung stehenden Tatsachenmaterial zwar sichere und eindeutige Schlüsse nicht ziehen, aber doch die unter Beweis gestellte Behauptung als mehr oder weniger wahrscheinlich bezeichnen kann, und berechtigt nicht zur Ablehnung eines Beweisantrages nach § 244 Abs. 4 S. 2 StPO."[11]

Zitat

"Daß das auf diesem Weg zu gewinnende Tatsachenmaterial einen Psychiater oder Psychologen in die Lage versetzen kann, Erfahrungssätze und Schlußfolgerungen darzulegen, die die Beweisbehauptung wenigstens mehr oder minder wahrscheinlich machen, läßt sich nicht von vornherein verneinen. Dann aber durfte die Beweiserhebung durch Anhörung eines Sachverständigen nicht wegen völliger Ungeeignetheit des Beweismittels abgelehnt werden."[12]

 

Rz. 13

Der Antrag auf Anhörung eines weiteren Sachverständigen[13] kann insbesondere mit der Begründung abgelehnt werden, das Gericht besitze, spätestens nach der Vernehmung des ersten Sachverständigen, selbst die erforderliche Sachkunde.[14] Ferner kann das Gericht die Ablehnung darauf stützen, dass das Gegenteil der behaupten Tatsache bereits erwiesen sei. Dieser Ablehnungsgrund greift jedoch nicht ein, wenn der bislang angehörte Sachverständige von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen und deshalb die Sachkunde des Sachverständigen zweifelh...

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