Rz. 10

Höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage der Unternehmenswertermittlung im Zusammenhang mit der Bemessung von Pflichtteilsansprüchen[1] bzw. Pflichtteilsergänzungsansprüchen[2] sind vergleichsweise dünn gesät. Dies mag u.a. auch daran liegen, dass derartige Konflikte zumeist innerhalb der Familie geklärt und im Hinblick auf die für alle Seiten bestehenden Unsicherheiten doch nicht einer ultimativen gerichtlichen Klärung zugeführt werden.

 

Rz. 11

Im Übrigen sind die tatsächlich verfügbaren Gerichtsentscheidungen aus heutiger Sicht teilweise nicht mehr aktuell. Sie spiegeln den aktuellen Stand der betriebswirtschaftlich gesicherten Grundsätze der Unternehmensbewertung nicht (mehr) wider. Denn der früher durchaus als sachgerecht angesehene Rückgriff auf den Substanzwert oder die Bildung eines Mittelwerts aus Substanz- und Ertragswert wurde mittlerweile durch ertrags- bzw. cash-flow-orientierte Bewertungsverfahren abgelöst. Dies hat sich zwischenzeitlich auch in der BGH-Rechtsprechung niedergeschlagen, die heute der Ertragswertmethode einen deutlichen Vorrang einräumt.[3] Substanz- und Mittelwertmethode spielen in der Rechtsprechung heute im Grunde keine Rolle mehr.[4]

 

Rz. 12

Nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen bildet der Liquidationswert prinzipiell die absolute Wertuntergrenze.[5] Ein Unternehmen, dessen zukünftiger Ertrag weniger wert zu sein scheint als der Liquidationserlös abzüglich der durch die Liquidation verursachten Kosten, sollte vernünftigerweise nicht fortgeführt werden.

Dessen ungeachtet hat der BGH im Leitsatz seiner Entscheidung vom 17.1.1973 festgehalten, dass der Liquidationswert eines zur Zeit des Erbfalls ertraglosen Unternehmens der Wertermittlung grundsätzlich nicht zugrunde gelegt werden könne, wenn das Unternehmen tatsächlich durch den Erben fortgeführt werde. Er begründete dies mit dem Gedanken, dass bei Fortführung des Unternehmens der Liquidationswert lediglich eine theoretische Größe bilde, tatsächlich aber keine entscheidende Rolle spiele. Dies müsse sich auch der Pflichtteilsberechtigte entgegenhalten lassen. Lediglich dann, wenn eine Fortführung durch den Erben unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten widersinnig erscheine, sei auf den Liquidationswert abzustellen.

 

Rz. 13

Diese Sichtweise ist betriebswirtschaftlich (und auch rechtlich) nicht haltbar und daher in der Literatur berechtigter Kritik ausgesetzt: Dieckmann[6] wiest beispielsweise darauf hin, dass es kaum angehen könne, den Pflichtteilsberechtigten mit den Folgen unökonomischen oder spekulativen Verhaltens des Erben zu belasten. Dem kann im Hinblick auf die Bedeutung des Stichtagsprinzips nur beigepflichtet werden.[7]

 

Rz. 14

Die heute vorherrschende Ansicht in der Literatur[8] sieht zu Recht den Liquidationswert als Untergrenze des für die Pflichtteilsberechnung anzusetzenden Unternehmenswerts an. Dies gilt auch dann, wenn der Erbe zur Fortführung des Unternehmens verpflichtet ist. Die insoweit früher angenommene Ausnahme[9] hat der BGH zwischenzeitlich relativiert.[10] Maßgeblich sind die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse am Stichtag. Hieran ändert sich auch dann nichts, wenn der Erbe eines ertraglosen Unternehmens (zunächst) versucht, dieses fortzuführen und die Liquidation daher erst mit einigen Jahren Verzögerung stattfindet.

 

Rz. 15

Mitunter bezieht sich die pflichtteilsrechtliche Literatur beim Thema Unternehmensbewertung auf Entscheidungen zum Zugewinnausgleich und überträgt die dortigen Grundsätze und Vorgaben auf pflichtteilsrechtliche Sachverhalte. Auch wenn die Rechtsprechung ebenfalls von der grundsätzlichen Vergleichbarkeit der Situationen bei Zugewinnausgleichs- und Pflichtteilsanspruch ausgeht,[11] handelt es sich – bei Licht betrachtet – doch um sehr unterschiedliche Bewertungsanlässe.

 

Rz. 16

Ziel des Zugewinnausgleichs ist es, eine gerechte Verteilung des gemeinsam erwirtschafteten Vermögens sowie – bezogen auf ein Unternehmen – der zukünftig daraus zu erzielenden Erträge zu erreichen. Dabei muss grundsätzlich auf die konkrete Person des Unternehmer-Ehegatten abgestellt werden. Schließlich soll keiner der Beteiligten schlechter oder besser gestellt werden, als wenn der Güterstand nicht beendet würde.[12] In diesem Fall wäre also eigentlich von einer mehr oder weniger unveränderten Fortsetzung der unternehmerischen Tätigkeit auszugehen, was eigentlich auch der Wertermittlung im Falle des Zugewinnausgleichs (unter Lebenden) als Prämisse zugrunde zu legen wäre. Dessen ungeachtet geht die Rechtsprechung von einer fiktiven Veräußerung auf den Stichtag der Ermittlung der Ausgleichsforderung aus.[13] Das verändert zum einen den Bewertungsansatz und macht zum anderen auch die Berücksichtigung mit einem gedachten Verkauf anfallender persönlicher (latenter) Ertragsteuern erforderlich.[14]

 

Rz. 17

Ungeachtet der jüngeren Rechtsprechung und der von dieser favorisierten Annahme einer fiktiven Veräußerung des dem Zugewinnausgleich unterliegenden Unternehmens markiert der Stichtag beim Zugewinnausgleich (...

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