Rz. 19

Die für den Anspruch des Vertragserben bzw. Vermächtnisnehmers konstitutive Beeinträchtigungsabsicht des Erblassers setzt nach der Rechtsprechung des BGH die Feststellung voraus, dass der Erblasser seine Verfügungsfreiheit (§ 2286 BGB) missbraucht hat.[68] Die Missbrauchsprüfung erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung der Bindung des Erblassers an den Erbvertrag bzw. das gemeinschaftliche Testament einerseits und der Gründe für die Benachteiligung des Vertragserben andererseits.[69] Die Rechtsprechung hat Fallgruppen entwickelt, in denen es an einem Missbrauch der Verfügungsbefugnis und damit an einer Beeinträchtigungsabsicht fehlt. Insbesondere ein anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers,[70] die Wahrnehmung einer auf Sitte oder Anstand beruhenden Pflicht[71] oder die Wahrnehmung des wohlverstandenen Vorteils des – typischerweise "missratenen", d.h. insbesondere verschwenderischen, insolventen oder unter Betreuung stehenden – Vertragserben[72] schließen die Beeinträchtigungsabsicht nach ständiger Rechtsprechung des BGH aus. Jüngst hat der BGH bestätigt, dass ein anerkennenswertes lebzeitiges Interesse des Erblassers auch dann vorliegen kann, wenn der sich bester Gesundheit erfreuende Schenker sich vom Beschenkten vertraglich die Pflege in gesunden und kranken Tagen versprechen lässt, selbst wenn er bis zum Tod niemals pflegebedürftig wird,[73] oder wenn der Beschenkte ohne rechtliche Bindung Leistungen, z.B. zur Betreuung im weiteren Sinne, im Zeitpunkt der Schenkung erbringt und auch in Zukunft vornehmen will.[74] In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte der im Jahr 2006 beschenkte Sohn seiner Mutter in einem Zeitraum von 1986 bis 2009 das Haus sauber gehalten, den Garten gepflegt, den Winterdienst geleistet, ab 2003 für sie eingekauft und Botengänge übernommen und ab 2004 alle Fahrdienste erbracht.[75] Überträgt der durch Erbvertrag mit bindender Schlusserbeneinsetzung zugunsten der Kinder aus erster Ehe gebundene Erblasser nach dem Tod seiner Ehefrau eine Eigentumswohnung an seine Lebensgefährtin, um diese dazu zu motivieren, ihn im Alter zu versorgen und zu pflegen, kann ein lebzeitiges Eigeninteresse zu bejahen sein.[76] Im Einzelfall ist sogar die Übertragung eines Geldbetrages in Millionenhöhe an die Ehefrau als nicht missbräuchlich angesehen worden, weil der sehr wohlhabende und kinderlose Ehemann seine wenig bemittelte Gattin dazu veranlassen wollte, im Alter für sein Wohlergehen zu sorgen.[77] Entsprechend hat das OLG Düsseldorf die Beeinträchtigungsabsicht in dem Fall eines sehr wohlhabenden Unternehmens verneint, der seiner zweiten Ehefrau anlässlich der Heirat eine Motoryacht im Wert von einer guten halben Mio. EUR geschenkt hat und dies als der Wertung des § 534 BGB vergleichbare Anstandsschenkung qualifiziert.[78] Es handele sich um ein in vergleichbaren sozialen Kreisen gebräuchliches Gelegenheitsgeschenk. Der Sohn des Erblassers ging mithin insofern leer aus, hatte indes selbst zu gleicher Zeit vom Erblasser GmbH-Geschäftsanteile im Wert von annähernd 8 Mio. EUR erhalten. Obwohl der BGH obiter ausgeführt hat, dass keine missbräuchliche Ausübung der Verfügungsmöglichkeit vorliege, wenn der Erblasser mit dem Geschenk einer Person, die ihm in besonderem Maße geholfen hat, Dank abstatten wollte,[79] machen in der Vergangenheit erbrachte Leistungen des Erwerbers im Haushalt nach der Rechtsprechung regelmäßig nicht immun gegen Bereicherungsansprüche nach §§ 2287 f. BGB (belohnende Schenkung). Diese Wertung rechtfertigt sich damit, dass derartigen Arbeiten eines Lebensgefährten im Haushalt typischerweise materielle oder immaterielle "Gegenleistungen" des Erblassers gegenüberstehen, die die Beteiligten in der Vergangenheit bewogen haben dürften, von der Vereinbarung eines Entgelts abzusehen.[80] Dementsprechend hat das OLG Hamm ein lebzeitiges Eigeninteresse des Erblassers verneint, obwohl die von ihm im Wert von ca. 250.000 EUR beschenkte Lebensgefährtin während vier Jahren Pflegeleistungen und -zusagen gegenüber dem Erblasser erbracht haben wollte; maßgeblich hierfür war, dass die Schenkungen des Erblassers den bindend seinem Sohn letztwillig zugewandten Nachlass weitgehend wertlos gemacht haben, die Lebensgefährtin während der vier Jahre in vollem Umfang freie Kost und Logis von dem Erblasser erhalten hat, über Jahre hinweg auf Kosten des Erblassers in erheblichem Umfang gemeinsame Reisen mit dem Erblasser unternommen hat sowie auf Drängen des Erblassers von seinem Sohn ein Wohnrecht für die Zeit nach dem Tod des Erblassers erhalten hat.[81] Etwas anderes scheint jedoch für über das übliche Maß hinausgehende Pflege- und Versorgungsleistungen für den Erblasser oder ihm nahe stehende Personen zu gelten, insbesondere wenn die beschenkte Lebensgefährtin lange Jahre die Kinder des Erblassers aus erster Ehe betreut hat.[82] Die Rechtsprechung verneint eine den Missbrauch der Verfügungsbefugnis nach § 2286 BGB ausschließende sittliche Pflicht zur Schenkung, wenn diese bloß au...

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