Rz. 264

 

Fallbeispiel 100: Das Laientestament und der Verzicht auf ein Wohnungsrecht

Die Eltern M und V haben zwei Kinder, davon eine Tochter mit Behinderung. Sie setzen sich auf den ersten Todesfall als alleinige Erben ein. Nach dem Tod des Letztverserbenden sollen beide Töchter erben. Für die behinderte Tochter B soll "ein Vermächtnis über ein Wohnrecht am Dachgeschoss gemacht werden"; "Über das noch vorhandene Vermögen soll B den Pflichtteil erhalten." Dieser soll für Unterhaltung und Betriebskosten des Dachgeschosses genutzt werden. Fall B das Wohnrecht nicht ausüben könne, stehe ihr ein Anspruch in Höhe einer fiktiven oder tatsächlichen Miete hinsichtlich der oberen Räume des Dachgeschosses zu. Hinsichtlich des "Erbes“ der B ordneten sie Testamentsvollstreckung durch die Schwester an. Damit solle das Vermächtnis verwaltet werden, damit B ihr Leben so weiterführen können wie bisher. Jahre später folgte ein Nachtrag, wonach B "befreiter Vorerbe" der anderen Tochter werden sollte. 2004 verstirbt V. 2005 wird für B ein lebenslanges Wohnungsrecht an der nunmehr im Alleineigentum der M stehenden Hauses eingetragen. 2018 erkennt M, die die Betreuerin von B ist, dass die Einräumung des Wohnungsrechtes jetzt und das Testament nach ihrem Ableben der B möglicherweise gar keinen Nutzen bringen und fragt, ob noch etwas zu retten ist."

 

Rz. 265

Gemeinschaftliche Testamente ohne eingeräumte Abänderungskompetenzen lassen sich nach dem Tod des Erstversterbenden regelhaft nicht mehr ändern. Eine Möglichkeit, sich doch noch von einem solchen bindend gewordenen Verzicht lösen zu können, besteht im sog. Zuwendungsverzicht. § 2352 BGB regelt: "Wer durch Testament als Erbe eingesetzt ist oder mit einem Vermächtnis bedacht ist, kann durch Vertrag mit dem Erblasser auf die Zuwendung verzichten. Das Gleiche gilt für eine Zuwendung, die in einem Erbvertrag einem Dritten gemacht ist."

Der Zuwendungsverzicht kann das Mittel der Wahl sein, wenn der überlebende Erblasser durch ein bindend gewordenes Testament in seiner Testierfreiheit beschränkt ist und nunmehr erkennt, dass sein gemeinschaftliches Testament oder sein Erbvertrag keine "Schutzringe" gegen die Einsatzpflicht einer Erbschaft oder eines Vermächtnisses im Rahmen des Sozialhilfebezuges des Begünstigten enthält.

 

Rz. 266

Durch den Zuwendungsverzichtsvertrag wird die Bindung des überlebenden Ehegatten nach dem Tod des Erstversterbenden durchbrochen. Der unter Betreuung stehende Begünstigte muss dazu gemäß §§ 2352 S. 3, 2347 Abs. 2 BGB durch einen Betreuer vertreten werden. Die Praxis geht davon aus, dass die notwendige betreuungsgerichtliche Genehmigung nach dem Urteil des BGH zum Pflichtteilsverzicht eines Behinderten erteilt werden müsste.[325]

 

Rz. 267

Falllösung Fallbeispiel 100:

Das gemeinschaftliche Testament von V und M hat gleich mehrere Probleme geschaffen. Zum einen war durch die Alleinerbeneisetzung auf den ersten Todesfall ein Pflichtteilsanspruch (§§ 2303 BGB) der B entstanden. Ansprüche zwischen Betreuer und Betreutem sind nach § 207 Abs. 1 Nr. 4 BGB während der Dauer des Betreuungsverhältnisses gehemmt. Der lange Zeitablauf nutzt M als Alleinerbin also nichts.

Durch die Einräumung eines Wohnungsrechtes zu Lebzeiten der M wird dem Nachlass der Vermächtnisgegenstand entzogen. Die Testamentsvollstreckung geht ins Leere, weil es sich jetzt nicht mehr um Nachlass handelt. B verfügt jetzt über Vermögen, das zwar noch Schonvermögenscharakter nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII hat. Damit ist ihr Bedarf an Unterkunft aber jedenfalls teilweise gedeckt. Kann sie das Wohnungsrecht nicht mehr nutzen, verliert das Wohnungsrecht seinen Schonvermögenscharakter nach § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII. Es ist aus rechtlichen Gründen dann zwar immer noch nicht verwertbar i.S.v. § 90 Abs. 1 SGB XII. Der Sozialhilfeträger könnte aber ggf. wegen des Selbsthilfegebotes (§ 2 SGB XII) auf Verwertungsbemühungen bestehen und im Falle der Verweigerung Leistungen ganz einstellen oder nur noch als Darlehen nach § 91 SGB XII gewähren. Der BGH führte dazu aus:

Zitat

"Bei einem auf schuldrechtlicher Grundlage eingeräumten Wohnungsrecht dürfte eine ergänzende Vertragsauslegung dahingehend, dass der Eigentümer verpflichtet ist, bei Nichtausübung des Wohnungsrechts die Räume entweder zu vermieten oder der Betroffenen die Vermietung zu gestatten, und daraus folgend bei Nichtvermietung ein Nutzungsentgelt in Höhe der fiktiven Miete zu zahlen, im Zweifel zwar nicht in Betracht kommen Hingegen könnte eine ergänzende Vertragsauslegung durchaus einen Anspruch der Betroffenen auf Auskehr von für die Räume erzielten Mieteinnahmen ergeben, der dann nicht unter die Testamentsvollstreckung fiele und auf den der Sozialleistungsträger daher zugreifen könnte."[326]

 

Rz. 268

Der BGH bot in diesem Fall eine interessante Lösung an: Es sei zu prüfen, ob der M nicht nach § 812 Abs. 1 S. 1 BGB ein Anspruch auf Rückgewähr des bereits übertragenen Wohnungsrechtes zustehe, um den testamentarisch gewollten Zustand wiederherzustellen. "Im Übrigen ...

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