Rz. 27

Die Gestaltungselemente eines Behindertentestamentes an sich könnten sich auch für andere Konstellationen, z.B. pflegebedürftige Eltern, anbieten.

 

Fallbeispiel 83: Geht das auch bei pflegebedürftigen Eltern?

A ist Alleineigentümer eines Einfamilienhauses mit einer Wohnfläche von 95 qm. Seine Ehefrau E ist heimpflegebedürftig. Sie verfügen nicht über hinreichende Mittel, um die für E anfallenden Heimpflegekosten zu bezahlen. A kann aber weiterhin zu Hause wohnen bleiben, weil das selbstbewohnte schuldenfreie Haus Schonvermögen nach § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII ist. Er fragt sich, ob er dieses Schonvermögen nicht durch eine erbrechtliche Gestaltung analog einem Behindertentestament retten kann. Er möchte gerne seine Ehefrau als nichtbefreite Vorerbin oberhalb ihres Pflichtteilsanspruches einsetzen und den gemeinsamen Sohn zum Nacherben, der auch Dauertestamentsvollstrecker mit entsprechend zu befolgenden Verwaltungsanordnungen sein soll.

 

Rz. 28

Grundsätzlich gilt, dass es kein postmortales Schonvermögen gibt. Zur Umsetzung dieses Grundsatzes dient § 102 SGB XII (vgl. dort), die sog. sozialhilferechtliche Erbenhaftung. Verstirbt der nicht hilfebedürftige Ehegatte vor dem leistungsberechtigten Ehegatten, so trifft dessen Erben die Kostenersatzpflicht aus § 102 SGB XII. § 102 Abs. 5 SGB XII schließt die Erbenhaftung allerdings für Grundsicherungsleistungen nach den §§ 41 ff. SGB XII grundsätzlich aus. Für die übrigen Fälle ist der Kostenersatz eine Nachlassverbindlichkeit. Ordnet der Erblasser Vorerbschaft/Nacherbschaft an, so trifft die Haftung auch den Vorerben. Der Nacherbe muss die Erfüllung der Nachlassverbindlichkeit dulden.

Das spräche eigentlich gegen eine Übertragbarkeit einer Lösung "analog Behindertentestament".

 

Rz. 29

Falllösung Fallbeispiel 83:

§ 102 Abs. 1 S. 4 SGB XII regelt aber, dass eine Verpflichtung zum Kostenersatz für die leistungsberechtigten Ehegatten/Lebenspartner – anders als bei anderen Erben – nicht besteht, wenn diese selbst Erbe werden. Dann muss nämlich wiederum geprüft werden, ob das Ererbte anrechenbares Einkommen oder "nach § 90 Abs. 2 und 3 weiterhin zum Schonvermögen gehört oder nunmehr (teilweise) einzusetzen ist."[62] Es gibt also gar keinen Bedarf für einen Kostenersatzanspruch, "der aus einer Einsatzgemeinschaft heraus vererbt würde."[63] Diese Sonderregelung bewirkt, dass bei geschickter Gestaltung der Verwaltungsanordnungen nach § 2216 Abs. 2 BGB nur die "Nutzungen" einer solchermaßen vererbten Immobilie herausgegeben werden müssten, nicht aber die Immobilie selbst. Dass der historische Gesetzgeber eine Verwertungssperre durch die geschickte Koppelung mehrerer erbrechtlicher Gestaltungselemente oberhalb des Pflichtteilsanspruches nicht vor Augen hatte, darf als sicher gelten. Also eine Regelungslücke, die zu schließen ist? Oder eine (sittenwidrige) Zuflucht zur Erhaltung einer Familienimmobilie? Ein solcher Weg scheint möglich, ist aber nicht sicher.

 

Rz. 30

Er kann auch nur in einer beschränkten Anzahl von Fällen funktionieren:

Bei Nutzung durch eine Person ist ein Einfamilienhaus mit 90 qm zzgl. Zuschlag wegen Härte nach § 90 Abs. 3 SGB XII geschont; eine Eigentumswohnung mit 80 qm zzgl. Zuschlag. Zu große Immobilien sind kein Schonvermögen.
Immobilien, die zu hoch belastet sind, fallen bereits frühzeitig aus Schonvermögensüberlegungen heraus, weil Tilgung kein berücksichtigungsfähiger Abzugsposten bei der Einkommensermittlung ist und auch die Zinslast nur so sein darf, dass der Sozialhilfeträger diese im Rahmen der Kosten der Unterkunft akzeptiert.
Bei Miteigentum der Ehegatten ist auf jeden Fall der Miteigentumsanteil des pflegebedürftigen Ehegatten ab dem Todesfall kein Schonvermögen mehr und muss verwertet werden.
Ist die Ehefrau Allein- oder Teileigentümerin der Immobilie und verstirbt vor ihrem Mann, funktioniert die Lösung gar nicht, weil sämtliche Erben nach § 102 SGB XII haften und die Ausnahme des § 102 Abs. 1 S. 4 SGB XII nur für die leistungsberechtigte Person, die Erbe wird, gilt.

Es bleibt deshalb abzuwarten, ob die Praxis "Pflegebedürftigentestamente" entwickeln wird.

[62] Schellhorn/Hohm/Scheider/Legros/Schellhorn, SGB XII-Kommentar, § 102 SGB XII Rn 11.
[63] Schulte/Trenk-Hinterberger 1986, 428 zitiert bei Bieritz-Harder/Conradis/Thie, LPK SGB XII § 102 Rn 7.

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