Rz. 35

Wenn der BGH die (lebenslang?) günstigere Stellung des "Kindes" mit Behinderung durch Erbeinsetzung oder Vermächtnis gegenüber dem ihm ansonsten zustehenden Pflichtteilsanspruch einerseits und den drohenden Verlust sozialrechtlicher Leistungen andererseits auch 2019 noch als essentiell für die Verneinung der Sittenwidrigkeit des Behindertentestamentes ansieht, dann muss m.E. davon ausgegangen werden, dass dies ein Kontrollmaßstab für die Grenzen der Testierfreiheit und des faktischen Entzuges einer Mindestteilhabe am Nachlass ist. Die lebenslang günstigere Stellung muss dann im konkreten Einzelfall vorbehaltlos auf ihre Verwirklichung überprüft werden.

 

Rz. 36

 

Fallbeispiel 84: Der Komapatient

T ist aufgrund eines bei einer Reanimation erlittenen Hirnschadens Wachkomapatientin. Sie reagiert auf Kontaktaufnahme nicht und es gibt außer einer guten Pflege so gut wie nichts, was man ihr Gutes tun könnte. Die standardmäßigen Verwaltungsanordnungen aus dem Testament ihres verstorbenen Vaters sind nicht umsetzbar. Der Testamentsvollstrecker kann nichts auskehren, was ihre Lebenssituation verbessert. Dies war auch von Anfang an bei der Abfassung des Testaments erkennbar.

 

Rz. 37

Falllösung Fallbeispiel 84:

Der Fall, dass von vorneherein feststeht, dass die Zielsetzung der Verbesserung des Versorgungsniveaus durch die getroffenen letztwilligen Verfügungen nicht erreicht werden kann, etwa weil der gesundheitliche Zustand des Bedürftigen über die reine existenzerhaltende Pflege hinaus gar nicht zulässt, dass er zusätzlichen Nutzen hat, ist durch die Rechtsprechung bisher nicht entschieden.

Die Literatur kommentiert: "Einen fehlenden subjektiven Nutzen kann es nicht geben" und hält den vorstehenden Fall für überholt.[70] Diese Behauptung hält einer Nachprüfung in der Praxis allerdings kaum stand, denn der Eingliederungshilfekatalog der §§ 102 ff. SGB IX ist denkbar umfangreich und deckt heute viele Leistungen ab, die Mitte der 1970 er Jahre überhaupt nicht vorstellbar waren. Im Fallbeispiel 84 haben wir es im Übrigen um einen reinen Pflegefall zu tun, der über SGB V, SGB XI und SGB XII abgehandelt wird.

[70] Braun (Nachfolge Kornexl), Nachlassplanung bei Problemkindern, § 2 Rn 19.

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