Rz. 86

Anrechnungsfähig ist in sachlicher Hinsicht jede freiwillige und freigebige Zuwendung des Erblassers unter Lebenden. Dieser Begriff ist weiter als jener der Schenkung i.S.v. § 516 BGB,[188] so dass auch Ausstattungen, aber auch Pflicht- und Anstandsschenkungen hierunter fallen können.[189] Nur wenn eine rechtliche Verpflichtung für die Vornahme der Zuwendung besteht, scheidet eine Anrechnung nach § 2315 BGB aus.[190] Bei gemischten Schenkungen beschränkt sich die Anrechnungsmöglichkeit unter Berücksichtigung der Gegenleistungen des Erwerbers auf den wirtschaftlichen Vorteil, den dieser letztlich erhält.[191] Gleiches wird für eine Schenkung unter Auflage zu gelten haben.[192]

 

Rz. 87

Für die Anrechnungsfähigkeit sind weiter besondere persönliche Voraussetzungen zu beachten. Die Anrechnung ist nur möglich, wenn ein besonderes Leistungsverhältnis zwischen dem Zuwendenden und dem Empfänger besteht. Dabei gilt die folgende Faustregel: Zuwendender = künftiger Erblasser, Zuwendungsempfänger = Pflichtteilsberechtigter. Dies hat praktisch bedeutsame Auswirkungen.

 

Rz. 88

 

Beispiel 5

Abweichend vom Grundfall (siehe Rdn 65) ist Otto Normalerblasser verheiratet mit Ottilie Normalerblasser. Der Bauplatz, den Michael erhalten soll, gehört aber allein dem Vater. Die Eltern haben ein "Berliner Testament" errichtet und wollen, dass auch für den Fall, dass die Mutter Ottilie, die ein größeres Wertpapierdepot besitzt, zuerst verstirbt, der Bauplatzerwerb auf den Pflichtteilsanspruch des Michael angerechnet wird. Gibt es hierfür Probleme?

 

Rz. 89

Nach der vorstehenden Faustregel gilt bezüglich der Person des Zuwendenden: Die Zuwendung muss aus dem Vermögen des eigentlichen Erblassers erfolgen, sein mutmaßlicher Nachlass muss also dadurch gemindert worden sein.[193] Auch wenn Ehegatten im Rahmen eines Berliner Testaments (§ 2269 BGB) die Einheitslösung wählen und sich gegenseitig zu Erben einsetzen und erst nach beider Tod die Abkömmlinge als Schlusserben berufen, ist eine getrennte Betrachtung notwendig: Was vom Vater erworben wird, kann nicht auf Pflichtteilsansprüche bezüglich der Mutter angerechnet werden.[194] Es gilt daher ein sog. enger Erblasserbegriff. Wer die Anrechnung der vom erstversterbenden Elternteil stammenden Zuwendung auf den Pflichtteil nach dem Längerlebenden will, muss einen entsprechenden beschränkten Pflichtteilsverzicht in notarieller Form (§ 2348 BGB) erklären.

[188] MüKo-BGB/Lange, § 2315 Rn 9.
[189] Siehe v. Dickhuth-Harrach, in: FS Rheinisches Notariat, 1998, S. 185, 191; Nieder/Kössinger, Testamentsgestaltung, § 2 Rn 290; MüKo-BGB/Lange, § 2315 Rn 7, 9.
[190] Demgegenüber soll nach einer – allerdings nicht unumstrittenen – Meinung in der Literatur eine Ausgleichungsverpflichtung nach § 2050 Abs. 3 BGB auch für solche Leistungen begründet werden können, mit denen einer gesetzlichen Pflicht, etwa der Unterhaltspflicht, genügt wird (so etwa Staudinger/Löhnig, § 2050 Rn 29; a.A. MüKo-BGB/Ann, § 2050 Rn 30; gegen einen unterschiedlichen Zuwendungsbegriff bei §§ 2315, 2050 BGB Schultz, DAVorm 1984, 713, 715 f.).
[191] MüKo-BGB/Lange, § 2315 Rn 7; Nieder/Kössinger, Testamentsgestaltung, § 2 Rn 290.
[192] So ausdrücklich Nieder/Kössinger, Testamentsgestaltung, § 2 Rn 290.
[193] Staudinger/Haas, § 2315 Rn 10.
[194] Dies ist heute ganz h.M., vgl. Nieder/Kössinger, Testamentsgestaltung, § 2 Rn 290 f., 315; v. Dickhuth-Harrach, in: FS Rheinisches Notariat, S. 185, 193; Thubauville, MittRhNotK 1992, 289, 294 f. (mit eingehender Darstellung des Streitstands); Mohr, ZEV 1999, 257, 258. Die Entscheidung BGHZ 88, 102, 109 = NJW 1983, 2875 = JZ 1984, 96 m. Anm. Kuchinke betraf unmittelbar nur die Anrechnung von Eigengeschenken nach § 2327 Abs. 1 S. 1 BGB, jedoch hat das Gericht ausdrücklich eine erweiterte Auslegung des Erblasserbegriffs mit der Bemerkung abgelehnt, dass dieser sonst auch im Rahmen von §§ 2325, 2315, 2316 BGB gelten müsse.

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