Rz. 246

Für den überlebenden Ehegatten kann sich durchaus die Frage stellen, ob er in der Zugewinngemeinschaftsehe die Ausschlagung erklärt und den kleinen Pflichtteil und den rechnerischen Zugewinnausgleich verlangt (sog. "taktische Ausschlagung" mit güterrechtlicher Lösung) oder den um das Zusatzviertel des § 1371 Abs. 1 BGB erhöhten Ehegattenerbteil behält. Die Entscheidung hängt hierbei davon ab,

neben welchen Verwandten des Verstorbenen er dabei erbt,
in welchem Verhältnis der in der Ehe gemachte Zugewinn des verstorbenen Ehegatten zur gesamten Erbmasse steht und
welchen Zugewinn der überlebende Ehegatte selbst erzielt hat.[441]
 

Rz. 247

Demnach ergibt sich nach den Berechnungen von Kössinger:[442]

Neben Verwandten der ersten Ordnung muss der Anteil des Zugewinns des verstorbenen Ehegatten am Gesamtnachlass mindestens 85,71 % betragen, damit sich die Ausschlagung und damit die güterrechtliche Lösung für den Längerlebenden auszahlt.
Neben Verwandten der zweiten Ordnung bringt die erbrechtliche Lösung mit Annahme der Erbschaft für den überlebenden Ehegatten stets größere Vorteile.
 

Beispiel

Erblasser E hinterlässt seine Ehefrau F und drei Kinder. Der Nachlass beträgt 200.000 EUR. Dieser Betrag entspricht auch dem Zugewinn des Ehemannes, da das gesamte Vermögen während der Ehe erworben wurde, während die Ehefrau keinen Zugewinn erzielte. Es tritt gesetzliche Erbfolge ein. Ist es für F sinnvoll, die Erbschaft auszuschlagen?[443]

Schlägt F die Erbschaft nicht aus, so steht ihr ein Erbteil in Höhe von 100.000 EUR zu (Erbquote ½ nach §§ 1371 Abs. 1, 1931 Abs. 1 BGB).

Schlägt F die Erbschaft aus, so erhält sie:

 
den Zugewinnausgleich in Höhe von 100.000 EUR
den kleinen Pflichtteil (⅛) in Höhe von 12.250 EUR
also insgesamt 112.500 EUR
 

Rz. 248

Daneben sind aber natürlich auch noch andere Gesichtspunkte zu berücksichtigen, insbesondere um welche Art von Erbeinsetzung es sich handelt, wie aber auch der sog. kleine Voraus nach § 1932 Abs. 1 S. 2 BGB. Für seine Ausschlagungsentscheidung muss der Ehegatte zur richtigen Beurteilung wissen:

den Wert des Nachlasses
den Erbteil und das Vermächtnis sowie
die Höhe des Zugewinnausgleichs.

Und dies muss innerhalb der kurzen Ausschlagungsfrist des § 1944 BGB entschieden werden, was bei schwieriger Nachlasszusammensetzung zu einer kaum zutreffenden Prognose zwingt.[444]

 

Rz. 249

Aber auch wer die Wahl der güterrechtlichen Lösung ins Auge fasst, sollte folgende Probleme beachten:

Der Ehegatte verliert damit die dingliche Beteiligung am Nachlass.
Es können erhebliche Streitigkeiten über die Höhe des Zugewinnausgleichs entstehen.
Bei der güterrechtlichen Lösung gilt der rechnerische Zugewinnausgleich mit allen Bestimmungen und seinen Unsicherheiten; insbesondere gelten dann auch die Anrechnung von Vorempfängen (§ 1380 BGB), die Leistungsverweigerung bei grober Unbilligkeit (§ 1381 BGB) und die gerichtlichen Stundungsmöglichkeiten (§§ 1382, 2331a BGB). Demgegenüber erhält etwa der mit einem geringwertigeren Vermächtnis bedachte Ehegatte immerhin den Pflichtteilsrestanspruch nach § 2307 Abs. 1 BGB, berechnet nach dem großen Pflichtteil.

Tendenziell ist daher vor der Ausschlagung des Ehegatten zu warnen.[445]

[441] Eingehend hierzu Nieder/Kössinger, Testamentsgestaltung, § 1 Rn 29 ff.; Kerscher/Riedel/Lenz, Pflichtteilsrecht, § 6 Rn 53 ff.
[442] Nieder/Kössinger, Testamentsgestaltung, § 1 Rn 30; so auch Cypionka, MittRhNotK 1986, 157, 164.
[443] Nach Kerscher/Tanck, ZAP 1997, 696.
[444] Groll/Rösler, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, C VI Rn 244; Nieder/Kössinger, Testamentsgestaltung, § 1 Rn 31; zu unreflektiert dagegen Kerscher/Riedel/Lenz, Pflichtteilsrecht, § 6 Rn 58 f.
[445] Ebenso Groll/Rösler, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, C VI Rn 244.

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