Rz. 178

Die Patientenversicherung gewährt dem Patienten verschuldensunabhängige Ansprüche bei objektiven ärztlichen Behandlungsfehlern. Patientenversicherungen wurden seit 1975 zunächst in Schweden und dann, mit Modifizierungen, in weiteren skandinavischen Ländern eingeführt. Dieser grundsätzlich andere Ansatz zur Abwicklung von Medizinschadensfällen hat für den Patienten den Vorteil, dass auf den häufig schwierigen Kausalitätsnachweis verzichtet werden kann. Vorteilhaft für den Arzt ist der Verzicht auf die Feststellung eines imageschädigenden Verschuldens. Dieses alternative Konzept könnte nach Ansicht einiger Autoren Vorbildfunktion für eine Reform des Arzthaftungsrechtes auch in Deutschland haben.[238] Es fehlt aber auch nicht der Hinweis auf die Kosten einer solchen Versicherung und auf die ungeklärte Frage, wer mit den Prämien belastet werden soll.[239]

 

Rz. 179

Kaum bemerkt blieb, dass es in Deutschland bis 1994 eine verschuldensunabhängige Haftung bei Behandlungsfehlern gab, und zwar als Erbe der DDR.[240] 1987 erließ der DDR-Gesundheitsminister eine "Anordnung über eine erweiterte materielle Unterstützung (EMU) für Bürger bei Gesundheitsschäden infolge medizinischer Maßnahmen".[241] Die Anordnung sah einen materiellen Ausgleich für die wirtschaftlichen Folgen von diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen vor, jedoch keinen Schmerzensgeldanspruch. Bei einem gesetzgeberischen Willen zur Einführung einer Patientenversicherung hätte die Anordnung also durchaus einen Ansatzpunkt zu Reformen geboten. Die Anordnung behielt aber nur für Altfälle vorübergehend durch den Einigungsvertrag ihre Gültigkeit und lief 1994 durch das Unterstützungsabschlussgesetz aus.[242]

 

Rz. 180

Versicherungsprämien für jede Medizinschadenversicherung müssen – wie heute auch schon – in irgendeiner Weise vom Gesundheitssystem aufgebracht werden. Sollten mit einer verschuldensunabhängigen Patientenversicherung tatsächlich höhere Kosten verbunden sein, dürfte diese angesichts der geplanten Einsparungen im Gesundheitswesen endgültig keine Realisierungschance haben. Aber auch unabhängig von der Kostenfrage würde die Einführung einer Patientenversicherung einen grundlegenden Systemwechsel bei der Arzthaftung und damit bei der Haftpflichtversicherung insgesamt darstellen. Der Aufwand für eine solche Reform entspricht nicht ihrem Stellenwert in der öffentlichen Diskussion. Ungeachtet aller Medienberichte über (angebliche) Mängel bei der Abwicklung von Medizinschäden steht die Patientenversicherung deshalb derzeit nicht auf der politischen Tagesordnung. Das zeigt auch die Tatsache, dass mit dem 2. Schadensersatzrechtsänderungsgesetz zwar punktuelle Änderungen im Schadensersatzrecht vorgenommen wurden, das Prinzip einer Verschuldenshaftung des Arztes aber unangetastet blieb.

 

Rz. 181

Das Modell eines Entschädigungsfonds, auf freiwilliger Basis von Ärzten und Haftpflichtversicherern finanziert, könnte geschädigten Patienten bei vermuteten Behandlungsfehlern schnell und unbürokratisch helfen. Fragen der Finanzierbarkeit haben dazu geführt, dass entgegen ursprünglichen Absichten die Fondslösung nicht in das Patientenrechtegesetz Aufnahme gefunden hat.

Im Rahmen der Gesetzesberatungen zum Patientenrechtegesetz wurde die Einrichtung eines Entschädigungsfonds nach dem sog. Hamburger Modell von der Bundesregierung verworfen, weil ein Entschädigungsfonds dem geltenden Haftungssystem der Individualversicherung und Individualhaftung widerspricht. Außerdem wurde befürchtet, dass die Präventionswirkung des Haftungsrechts leer läuft, ganz abgesehen von den Finanzierungsfragen.[243] So erscheint auch die Einrichtung eines "perinatalen" Hilfsfondses für geburtsgeschädigte Kinder nicht praxisgerecht, zumal fraglich ist, ob für ein einzelnes Fachgebiet eine solche Sondereinrichtung geschaffen werden kann.[244] Das geltende Recht lässt eine Gerechtigkeitslücke nicht erkennen.

 

Rz. 182

Ein neues Modell der Krankenhaushaftpflichtversicherung hat Österreich entwickelt. § 27 a Abs. 6 des österreichischen Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetzes (KAKuG) stellt dem ­iatrogengeschädigten Krankenhauspatienten Gelder der öffentlichen Hand zur Verfügung, wenn "eine Haftung des Krankenanstaltenträgers nicht eindeutig gegeben ist". Die sozialversicherten Patienten finanzieren mit einem Beitrag Sondermittel, aus denen die Entschädigungsleistungen finanziert werden. Gesetzgeberische Erwägung ist, dass es "im wohlverstandenen ­Interesse aller Spitalpatienten gelegen ist, ein Schadenausgleichssystem zu finanzieren, das es ­ermöglicht, Ersatzleistungen für Fälle anzuerkennen, bei denen eine Haftung des Krankenanstaltenträgers nicht eindeutig gegeben ist".[245]

[238] Hiersche, in: Laufs u.a., S. 167 ff.; Pichler, in: Laufs u.a., S. 173 ff.
[239] Hübner, ZfV 1990, 55 (79); Klingmüller, VersR 1980, 694 (696).
[240] Kern/Schaefer, MedR 1996, 452.
[241] GBl I 1987 Nr. 4, S. 34.
[242] BGBl I S. 990.
[243] BT-Drucks 17/10488, S. 59.
[244] Vgl. Katzenmeier, VersR 2014, 405, 412.
[245] Eingehe...

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