Mallory Völker, Monika Clausius
Rz. 53
Nach Art. 4 MSA können Behörden des Staates, dem der Minderjährige angehört, dort aber nicht seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, Maßnahmen zum Schutz der Person und des Vermögens des Minderjährigen treffen, wenn sie der Auffassung sind, dass das Wohl des Kindes solche Maßnahmen erfordert. Bei der Anwendung des Art. 4 Abs. 1 MSA ist Zurückhaltung geboten. Deutsche Behörden sollen von ihrer konkurrierenden Zuständigkeit nur wegen besonderer Umstände Gebrauch machen. Diese liegen in der Regel vor, wenn der Aufenthaltsstaat zu Schutzmaßnahmen nicht bereit oder in der Lage ist oder wenn die Heimatbehörden rascher und sachnäher handeln können. Grundsätzlich kommt Art. 4 MSA allerdings dennoch der Vorrang vor Art. 1 MSA zu; allein die in Art. 16 MSA enthaltene ordre-public-Klausel kann jene Zuständigkeit dann noch sperren.
Rz. 54
Im Allgemeinen können die Behörden und Gerichte des Aufenthaltsstaates besser ermitteln und beurteilen, in welchen Verhältnissen das Kind lebt und welche Maßnahmen im Interesse des Kindeswohls erforderlich sind. Außerdem sind sie besser in der Lage, die von ihnen getroffenen Maßnahmen durchzusetzen. Die Heimatbehörden dürfen nur handeln, wenn sie zuvor die Behörden des Aufenthaltsstaates von ihrer Absicht verständigt haben, Art. 4 Abs. 1 MSA.
Rz. 55
Probleme können sich ergeben, wenn das Kind neben der deutschen eine fremde Staatsangehörigkeit besitzt, also so genannter Doppelstaater ist. Im Rahmen des Art. 4 MSA ist davon auszugehen, dass bei Mehrstaatlern mit deutscher Staatsangehörigkeit – wie regelmäßig für die internationale Zuständigkeit – die deutsche Staatsangehörigkeit den Ausschlag gibt. Es wäre mit der sich aus Art. 6 Abs. 2 und 2 Abs. 1 GG ergebenden Schutzpflicht des deutschen Staates für Minderjährige unvereinbar, wenn einem deutschen Minderjährigen nur deshalb nicht der Mindestschutz nach Art. 4 MSA gewährt werden könnte, weil er noch eine andere Staatsangehörigkeit besitzt.
Rz. 56
Die internationale Zuständigkeit für eine einstweilige Anordnung lässt sich auch bei einem nur vorübergehenden Aufenthalt rechtfertigen, und zwar gemäß Art. 4 MSA. Für eine mit der Aufenthaltszuständigkeit des Art. 1 MSA konkurrierende internationale Zuständigkeit der Heimatbehörden und -gerichte gemäß Art. 4 MSA ist grundsätzlich nur dann Raum, wenn im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände das Eingreifen der Heimatbehörden und -gerichte die Interessen des Kindes bzw. das Kindeswohl besser gewährleisten kann als das Tätigwerden der Aufenthaltsbehörden.