Rz. 139
Nach Art. 16 HKÜ dürfen die Gerichte des ersuchten Staates eine Sachentscheidung über das Sorgerecht erst dann treffen, wenn ein Rückgabeantrag nicht binnen angemessener Frist gestellt wird oder über das Rückgabeersuchen negativ entschieden worden ist.[436] Ziel der Zuständigkeitssperre ist es, dem Zufluchtsstaat den Vorrang des HKÜ zu gewährleisten.[437] In der Praxis informiert daher – was zu begrüßen ist – der HKÜ-Richter das für den derzeitigen Aufenthaltsort des Kindes zuständige Familiengericht, um zu vermeiden, dass dieses – in Unkenntnis der Sachlage – sorgerechtliche Regelungen trifft.
Die Sperre des Art. 16 HKÜ wirkt aber nicht nur dann, wenn ein Rückgabeverfahren negativ ausgefallen ist. Vielmehr steht auch eine positive Rückführungsanordnung der Sachentscheidung über das Sorgerecht entgegen. Bereits anhängige Sorgerechtsverfahren sind nicht weiter zu betreiben, sondern auszusetzen.[438] Das gilt jedoch nur, soweit die Vollziehung der Rückführungsanordnung in angemessener Frist und nachdrücklich betrieben wird.[439] Hier sind die Gerichtsvollzieher oder Vollstreckungsorgane verpflichtet, die Rückführung ohne Verzögerungen durchzuführen.[440] Das ergibt sich aus Art. 11 HKÜ.
Die Sperrwirkung des Art. 16 HKÜ erstreckt sich auf sämtliche – auch vorläufige – das Sorgerecht berührende Maßnahmen des Zufluchtsstaates.[441] Eine Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht darf also dort nicht ergehen.[442] Selbstredend können im – hierfür ja international gerade zuständigen – Ursprungsstaat jederzeit Sorgerechtsregelungen, auch im Wege einstweiliger Anordnung, erlassen werden. Deren – ggf. zum HKÜ-Verfahren parallele – Anerkennung und Vollstreckung richtet sich dann nach den allgemeinen Vorschriften (siehe dazu Rdn 69 ff.).
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