Rz. 57

Das Nichterheben gebotener Diagnose- und Kontrollbefunde stellt zwar einen Unterfall des Behandlungsfehlers dar. Die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der Beweislastverteilung beim Verstoß gegen die Befunderhebungs- und Sicherungspflicht, die der Gesetzgeber in § 630h Abs. 5 S. 2 BGB übernommen hat, weisen aber Besonderheiten auf.

 

Rz. 58

Häufig erweist sich ein Befunderhebungsfehler[211] bereits als grober Behandlungsfehler, wenn nämlich der Arzt in erheblichem Ausmaß Diagnose- und Kontrollbefunde zum Behandlungsgeschehen nicht erhoben oder elementare und selbstverständlich gebotene differenzial-diagnostische Untersuchungen unterlassen hat.[212] Gemäß § 630h Abs. 5 S. 2 BGB kommt es zur Beweislastumkehr aber bereits bei einem einfachen Befunderhebungs- oder Sicherungsfehler, wenn es nämlich der Behandelnde unterlassen hat, einen medizinisch gebotenen Befund rechtzeitig zu erheben oder zu sichern, soweit der Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Ergebnis erbracht hätte, das Anlass zu weiteren Maßnahmen gegeben hätte, und wenn das Unterlassen solcher Maßnahmen grob fehlerhaft gewesen wäre. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Erhebung und Sicherung medizinischer Befunde und zur ordnungsgemäßen Aufbewahrung der Befundträger lässt auf ein reaktionspflichtiges positives Befundergebnis schließen, wenn ein solches hinreichend wahrscheinlich ist.[213] Hinzukommen muss, dass dieser Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit so deutlich und gravierend gewesen wäre, dass sich dessen Verkennung als fundamental fehlerhaft oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellen würde.[214] Hinreichende Wahrscheinlichkeit ist zu bejahen, wenn die Wahrscheinlichkeit höher als mit 50 % anzunehmen ist.[215]

[211] Zur Abgrenzung vom Verstoß gegen die Pflicht zur therapeutischen Beratung BGH, Urt. v. 11.4.2017 – VI ZR 576/15, NJW 2018, 621 Rn 15 f.
[212] BGHZ 85, 212; BGH, Urt. v. 7.6.1983 – VI ZR 284/81, VersR 1983, 983; zur umfangreichen Kasuistik etwa Geiß/Greiner, Kap. B Rn 266 ff.; Martis/Winkhart, G 561 ff., U 4; Pauge/Offenloch, Rn 600.

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