Rz. 46

Deutet ein Gesundheitsschaden nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf einen Behandlungsfehler hin, kann zugunsten des Patienten eine Beweiserleichterung nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises eingreifen. Voraussetzung ist stets ein entsprechender Erfahrungssatz, der von dem eingetretenen Schaden auf einen Behandlungsfehler als dessen typische und damit wahrscheinliche Ursache sowie auf den Ursachenzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und Schaden schließen lässt. Ist das Gericht bei einem derart typischen Geschehensablauf vom Vorliegen der Schädigung überzeugt, so ist damit auch die behauptete Ursache bewiesen.[156]

 

Rz. 47

Der Anwendungsbereich des Anscheinsbeweises bleibt im Arzthaftpflichtprozess jedoch begrenzt.[157] Die erforderliche Typizität des Geschehensablaufs ist angesichts der Verschiedenheit der jeweiligen Behandlungsbedingungen und der individuellen Behandlungsverläufe nur selten gegeben. Daher wurde in der Judikatur ein Anscheinsbeweis auch lediglich in Ausnahmefällen bejaht,[158] so etwa bei einer Infizierung mit HIV nach Bluttransfusion von einem aidserkrankten Spender[159] oder für die Verursachung einer Augenschädigung durch ein verabreichtes Medikament.[160] Dagegen spricht kein Anscheinsbeweis für die Infizierung mit HIV durch Bluttransfusion, wenn nicht feststeht, dass das Blut von einem infizierten Spender stammte.[161] Ebenfalls verneint wird die für einen Anscheinsbeweis erforderliche Typizität des Geschehensablaufs bei Schädigungen anlässlich von Operationen.[162]

[156] Staudinger/Hager, § 823 Rn I 49 f.
[157] Pauge/Offenloch, Rn 563; Laufs/Kern/Rehborn, § 107 Rn 1, 2.
[158] Rechtsprechungsübersicht bei Pauge/Offenloch, Rn 563 ff.; Laufs/Kern/Rehborn, § 107 Rn 6 ff.
[159] BGHZ 114, 284, 290; BGHZ 163, 209, 212 f.; OLG Koblenz, Urt. v. 12.11.1997 – 1 U 533/94, NJW-RR 1998, 167; Giesen, Rn 382; a.A. Hecker/Weimann, VersR 1997, 532.
[161] OLG Düsseldorf, Urt. v. 14.7.1994 – 8 U 109/90, VersR 1996, 377.
[162] BGH, Urt. v. 10.3.1992 – VI ZR 94/91, NJW 1992, 1560; BGH, Urt. v. 7.7.1992 – VI ZR 211/91, NJW-RR 1992, 1241.

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