Rz. 91

Die Ehe von M und F1 wurde nach langer Dauer i.S.v. § 1609 Nr. 2 geschieden. Aus der Ehe sind keine Kinder hervorgegangen. M ist nunmehr seit einigen Jahren mit F2 verheiratet. Aus der Ehe ist das zweijährige Kind K hervorgegangen. M hat ein bereinigtes Nettoeinkommen von monatlich 1.700 EUR. F1 hat ein bereinigtes Nettoeinkommen von monatlich 500 EUR. F1 kann kein höheres Einkommen erzielen. F2 hat kein Einkommen, weil sie das Kind betreut. F1 verlangt von M Unterhalt.

I. Kindesunterhalt

 

Rz. 92

Der Bedarf von Kindern richtet sich nach der Düsseldorfer Tabelle (DT). Bezüglich der Einzelheiten wird auf Fall 1 (siehe § 1 Rdn 1) verwiesen.

 

Rz. 93

M hat ein bereinigtes Nettoeinkommen von 1.700 EUR. Es kommt deshalb grundsätzlich die Einkommensgruppe 1 (bis 1.900 EUR) zur Anwendung. Es sind 3 Unterhaltsberechtigte vorhanden. Eine Herabstufung in der DT kommt nicht in Betracht, da der Kindesunterhalt ohnehin nur der Einkommensgruppe 1 (Mindestunterhalt) entnommen wird.

 

Rz. 94

Kind K ist 2 Jahre alt, es fällt also in die Altersstufe 1. Sein Bedarf beträgt damit grundsätzlich 396 EUR. Das halbe Kindergeld (109,50 EUR) ist bedarfsdeckend anzurechnen. Der Unterhalt für K beträgt somit 286,50 EUR (396 – 109,50 EUR).

II. Ehegattenunterhalt für F1

1. Anspruchsgrundlage

 

Rz. 95

Bei F1 soll im Fallbeispiel ein Anspruch auf Geschiedenenunterhalt (vgl. hierzu Fall 16, § 3 Rdn 28 ff.) bestehen.

2. Bedarf der F1

 

Rz. 96

Die Dreiteilungsmethode auf Bedarfsebene wurde vom BVerfG abgelehnt. Der Bedarf von F1 ist unabhängig von F2 nach dem Halbteilungsgrundsatz zu ermitteln (vgl. Fälle 33 bis 36, siehe § 9 Rdn 1 ff., § 10 Rdn 1 ff.).

a) Bedarfsbestimmendes Einkommen des M

aa) Vorwegabzug des Kindesunterhalts?

 

Rz. 97

Hier stellt sich zunächst die Frage, ob der Kindesunterhalt vorweg abzuziehen ist.

Es gilt das Stichtagsprinzip.

 

BGH, Urt. v. 7.12.2011 – XII ZR 151/09

Die ehelichen Lebensverhältnisse im Sinne von § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB werden grundsätzlich durch die Umstände bestimmt, die bis zur Rechtskraft der Ehescheidung eingetreten sind (Stichtagsprinzip). Nacheheliche Entwicklungen wirken sich auf die Bedarfsbemessung nach den ehelichen Lebensverhältnissen aus, wenn sie auch bei fortbestehender Ehe eingetreten wären oder in anderer Weise in der Ehe angelegt und mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten waren (im Anschluss an BVerfG FamRZ 2011, 437).

 

Rz. 98

Grds. ist entscheidend, ob das Kind vor oder nach Rechtskraft der Scheidung geboren wurde.

 

BGH, Urt. v. 7.12.2011 – XII ZR 151/09

Nach dem Stichtagsprinzip werden die ehelichen Lebensverhältnisse im Sinne von § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB grundsätzlich jedenfalls durch die Umstände bestimmt, die bis zur Rechtskraft der Ehescheidung eintreten. Hierbei ist grundsätzlich auch das Hinzutreten weiterer Unterhaltsberechtigter bis zur rechtskräftigen Ehescheidung zu berücksichtigen.

Das gilt nach ständiger Rechtsprechung des Senats sowohl für gemeinsame Kinder als auch für Kinder des Unterhaltspflichtigen aus einer neuen Beziehung, die bereits vor Rechtskraft der Ehescheidung geboren sind. Dies gilt selbst dann, wenn die Kinder inzwischen volljährig und nach § 1609 Nr. 4 BGB gegenüber dem geschiedenen Ehegatten nachrangig sind. Dies gilt auch für den Anspruch auf Betreuungsunterhalt nach § 1615l BGB, den die Mutter eines vor Rechtskraft der Ehescheidung geborenen nichtehelichen Kindes schon während der Ehezeit von dem unterhaltspflichtigen geschiedenen Ehegatten verlangen kann.

Die Unterhaltspflichten für neue Ehegatten sowie für nachehelich geborene Kinder und den dadurch bedingten Betreuungsunterhalt nach § 1615l BGB sind nicht bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs eines geschiedenen Ehegatten nach § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB zu berücksichtigen.

 

Rz. 99

Das Kind entstammt der Beziehung mit der zweiten Frau. Ob ein Vorwegabzug des Kindesunterhalts erfolgen kann, hängt davon ab, ob dieser Kindesunterhalt die Lebensverhältnisse der ersten Ehe, also der Ehe zwischen M und F1, geprägt hat. Dies wäre nur der Fall, wenn das Kind vor Rechtskraft der Scheidung der Ehe von M und F1 geboren wurde. Dies ist nicht der Fall. Das Kind wurde erst während der zweiten Ehe und damit nach Rechtskraft der Scheidung der ersten Ehe geboren.

Ein Vorwegabzug erfolgt also nicht, wenngleich diese Frage im vorliegenden Fall wegen der beengten finanziellen Verhältnisse letztlich ohnehin keine Bedeutung haben wird.

bb) Vorwegabzug des möglichen Ehegattenunterhalts für F2?

 

Rz. 100

Ein etwaiger Unterhaltsanspruch von F2 ist bei der Bestimmung des Bedarfs von F1 ebenfalls nicht vom Einkommen des M abzuziehen. Denn diese Unterhaltslast hat die Ehe von M und F1 nicht geprägt (vgl. Fall 33, siehe § 9 Rdn 1).

 

Rz. 101

Für die Bestimmung des Bedarfs von F1 ist also das volle Einkommen heranzuziehen. Lediglich der Erwerbstätigenbonus ist abzuziehen.

Erwerbstätigenbonus M: 1.700 EUR × 10 % = 170 EUR

Bedarfsbestimmendes Einkommen M: 1.700 – 170 EUR = 1.530 EUR

b) Bedarfsbestimmendes Einkommen der F1

 

Rz. 102

Erwerbstätigenbonus F1: 500 EUR × 10 % = 50 EUR

Bedarfsbestimmendes Einkommen: 500 – 50 EUR = 450 EUR

c) Halbteilung (Grundsatz der gleichen Teilhabe)

 

Rz. 103

Der Bedarf von F1 beträgt ½ aus (1.530 + 450 EUR) = ½ aus 1.980 EUR = 990 EUR.

3. Ungedeckter Restbedarf (Unterhaltshöhe)

 

Rz. 104

Der ungedeckte Restbedarf von F1, also Bedarf abzüglich des (um den Erwerbsbonus gekürzten) Eigeneinko...

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