Rz. 1

Vielfach haben Forderungsinhaber und Anspruchsberechtigte Vorbehalte, ihre Ansprüche klageweise geltend zu machen. Es wird argumentiert, dass "Recht haben und Recht bekommen" zwei verschiedene Dinge, überdies Klageverfahren zu teuer seien und schließlich eine zu lange Prozessdauer Rechtsstreitigkeiten ineffektiv mache.

 

Rz. 2

Die erste Begründung verfängt nicht: Richtig ist, dass bei der Rechtsfindung des Gerichts der Grundsatz der "prozessualen Wahrheit" gilt und es deshalb wichtig ist, in einem Prozess den eigenen Sachvortrag ggf. auch beweisen zu können. Dazu dienen als Beweismittel vornehmlich Urkunden, z.B. Vertragsunterlagen, Lieferscheine, Rechnungen, Mahnungen. Die Erfolgsaussicht einer Klage sollte daraufhin geprüft werden. Ist ein Prozess riskant, etwa weil die Beweislage ungünstig ist, kann immer noch von einer Rechtsverfolgung abgesehen werden.

 

Rz. 3

Gegen das Kostenargument ist einzuwenden, dass beim Obsiegen schließlich der Schuldner (Beklagter) die Prozesskosten zu tragen hat, und im Übrigen vor dem Einreichen eines Mahnbescheids oder einer Klage geprüft werden sollte, ob der Schuldner (noch) solvent ist, um vergebliche Ausgaben zu vermeiden.

 

Rz. 4

Die Dauer der Prozesse vor den Amts- und Landgerichten ist kürzer, als gemeinhin angenommen wird. Zu berücksichtigen ist zunächst die hohe Anzahl der von den Zivilgerichten jährlich zu bearbeitenden Verfahren von ca. 1,5 Millionen. Die Eingangszahlen neuer erstinstanzlicher Zivilstreitigkeiten sind in den letzten Jahren eher rückläufig bei höheren Erledigungszahlen. Bei den Zivilgerichten hängt die Verfahrensdauer davon ab, ob in der ersten Instanz die Amtsgerichte oder die Landgerichte zuständig sind. Außerdem differiert die Verfahrenslänge je nach Bundesland erheblich.

 

Rz. 5

Der nachstehenden Übersicht können die entsprechende Anzahl der Gerichtsverfahren vor den Zivilgerichten erster Instanz in der Bundesrepublik Deutschland, die jährlichen Erledigungen und die Verfahrensdauer in Monaten im Bundesdurchschnitt laut der Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes[1] für die letzten zehn Jahren entnommen werden:

 

Rz. 6

 
AMTSGERICHTE 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
Neuzugänge 1.213.093 1.199.758 1.150.663 1.138.419 1.107.028 1.093.454 986.139 936.979 923.933
Erledigte Verfahren 1.217.563 1.209.201 1.165.2342 1.138.823 1.107.215 1.119.504 1.020.966 952.413 923.179
Verfahrensdauer in Monaten 4,7 4,7 4,7 4,8 4,8 4,8 5,0 4,9 4,9
 

Rz. 7

Bei den Zivilgerichten dauern Verfahren in der Eingangsinstanz (bundes-)durchschnittlich zwar nur 4,9 Monate (Amtsgerichte) bzw. 10,4 Monate (Landgerichte).

 
LANDGERICHTE 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
Neuzugänge 372.150 372.605 355.623 358.792 332.044 330.035 321.996 307.718 338.021
Erledigte Verfahren 369.089 370.603 356.445 348.651 3734.499 332.085 322.371 308.026 308.026
Verfahrensdauer in Monaten 8,1 8,2 8,3 8,7 9,1 9,9 9,9 11,7 10,4
 

Rz. 8

Die durchschnittliche Verfahrensdauer in den einzelnen Bundesländern zeigt aber deutliche Abweichungen sowohl nach oben als auch nach unten. Bei den Amtsgerichten liegt die Spannweite zwischen 4,0 und 5,8 Monaten, bei den Landgerichten zwischen 8,2 und 14 Monaten.

 

Rz. 9

17,5 % der Prozesse vor den Landgerichten bzw. 7,5 % der Prozesse vor den Amtsgerichten dauerten bundesweit im Übrigen im Jahr 2018 mehr als 12 Monate und 9,4 % der landgerichtlichen Prozesse bzw. 1,5 % der amtsgerichtlichen Prozesse mehr als 24 Monate.[2] Im Jahr 2011 waren nur 1,2 % der Zivilverfahren bei den Amtsgerichten länger als 24 Monate anhängig; bei den Landgerichten waren es 6,3 %.[3]

 

Rz. 10

Schon der Anteil der über 24 Monate bei einem Gericht anhängigen Verfahren ist also ausgesprochen gering.

 

Rz. 11

Verfahren mit überlanger Dauer sind in Deutschland keinesfalls an der Tagesordnung, sondern seltene Ausnahmen. Die deutsche Justiz nimmt europaweit wie auch international eine Spitzenstellung ein, welche sich auch in der Verfahrensdauer zeigt.[4] Zudem besteht der Schutz vor überlangen Verfahren durch § 198 GVG in Form eines verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruchs in der Kombination mit einer Verzögerungsrüge bei dem mit der Sache befassten Gericht und ggf. einer nachfolgenden Entschädigungsklage.

 

Rz. 12

In einem ersten Schritt müssen die Betroffenen das Gericht, das nach ihrer Ansicht zu langsam arbeitet, mit einer Rüge auf die Verzögerung hinweisen. Auf diese Weise erhalten die Richter stets die Möglichkeit, Abhilfe zu schaffen. Die Verzögerungsrüge hilft daher, überlange Verfahren von vornherein zu vermeiden. Wer keine Rüge erhoben hat, kann auch keine Entschädigung verlangen. Das bedeutet: Man kann einem Verfahren nicht einfach seinen langen Lauf lassen und später Entschädigung geltend machen.

 

Rz. 13

Wenn sich das Verfahren trotz der Rüge weiter verzögert, kann in einem zweiten Schritt eine Entschädigungsklage erhoben werden. In diesem Entschädigungsverfahren bekommen die betroffenen Bürger für die sog. immateriellen Nachteile aufgrund des überlangen Verfahrens, wie z....

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