Rz. 160

Nach Auffassung des Berufungsgerichts verstieß die Beklagte zu 1 gegen § 8 Abs. 1 S. 1 StVO, da sie die Vorfahrt des Klägers nicht beachtete. Die in Rechtsprechung und Literatur umstrittene Frage, wann der nach dem Ausfahren aus einer durch Verkehrszeichen 326 (verkehrsberuhigte Zone) geregelte Bereich ende, sei dahin zu beantworten, dass ab dem konkreten Standpunkt des Verkehrsschildes Zeichen 326 die allgemeinen Verkehrsregeln gälten.

 

Rz. 161

Diese Ausführungen hielten den Angriffen der Revision nicht stand.

§ 42 Abs. 4a StVO normiert für verkehrsberuhigte Bereiche, die durch Zeichen 325 (Beginn) und 326 (Ende) gekennzeichnet werden, bestimmte Rechte und Pflichten der Fußgänger und der Kraftfahrer. Darüber hinaus hat nach § 10 S. 1 StVO derjenige, der aus einem verkehrsberuhigten Bereich (Zeichen 325/326) auf die Straße einfahren will, sich dabei so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Problematisch ist, dass für Kraftfahrer in Einmündungs- oder Kreuzungsbereichen je nach den Umständen nicht ausreichend klar erkennbar sein kann, ob die Verhaltensanforderung des § 10 S. 1 StVO gilt oder die des § 8 Abs. 1 S. 1 StVO, wonach an Kreuzungen und Einmündungen die Vorfahrt hat, wer von rechts kommt. Die Verwaltungsvorschrift zu § 42 Abs. 4a StVO bestimmt, das Zeichen 326 sei höchstens 30 m vor der nächsten Einmündung oder Kreuzung aufzustellen. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass ein Kraftfahrer, der einen verkehrsberuhigten Bereich verlässt, dessen Verlassen im Einzelfall aufgrund der spezifischen Gestaltung des konkreten Straßenbereichs nicht mehr als Ausfahrt aus einem verkehrsberuhigten Bereich erkennt.

 

Rz. 162

Deshalb könnte für die Ansicht des Berufungsgerichts, ab dem konkreten Standpunkt des Verkehrsschildes gälten die allgemeinen Verkehrsregeln, der Gesichtspunkt einer klaren Regelung sprechen. Der erkennende Senat hielt diese Ansicht nicht für richtig. Bezogen auf die Verhaltensanforderungen des § 10 StVO hat das Zeichen 326 eine die Vorfahrt regelnde Bedeutung. Die sich aus dieser Regelung ergebenden Verpflichtungen enden nicht generell auf der Höhe des Verkehrsschildes. Sie enden vielmehr in der Regel erst dann, wenn sich das Gebot aktualisiert, beim Einfahren aus einem verkehrsberuhigten Bereich in eine andere Straße eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen. Dies ist regelmäßig an der nächsten Einmündung oder Kreuzung nach Ende des verkehrsberuhigten Bereichs der Fall.

 

Rz. 163

Die abweichende Ansicht berücksichtigt nicht ausreichend, dass im vorliegenden Zusammenhang nicht der Begrenzung des verkehrsberuhigten Bereichs, sondern der vorfahrtregelnden Wirkung des Zeichens 326 entscheidende Bedeutung zukommt. Diese Wirkung kann nicht davon abhängen, ob das Zeichen unmittelbar im Einmündungs- bzw. Kreuzungsbereich steht oder einige Meter davor. Dass es unmittelbar im Einmündungs- oder Kreuzungsbereich aufgestellt ist, wird eher selten sein. Häufig wird es sich einige Meter vor der Kreuzung oder Einmündung befinden. Es erschiene aber verfehlt, in diesen Fällen von der Geltung des § 8 Abs. 1 S. 1 StVO auszugehen, insbesondere wenn der Querverkehr aufgrund der für ihn sichtbaren Beschilderung oder der Gestaltung des Straßenverlaufs oder der Straßenflächen annehmen darf, der Fahrer des einfahrenden Fahrzeugs habe die Verhaltensanforderungen des § 10 StVO zu beachten.

 

Rz. 164

Freilich gelten die Verhaltensanforderungen des § 10 StVO nicht stets bis zur nächsten Kreuzung oder Einmündung.

 

Rz. 165

Ist das Zeichen 326 mehr als 30 m vor der nächsten Einmündung oder Kreuzung aufgestellt, enden die Verpflichtungen aus § 10 StVO in der Regel am Aufstellungsort des Zeichens. Dies kann der Fall sein, wenn der verkehrsberuhigte Bereich nur für einen bestimmten Straßenabschnitt angeordnet ist oder sich die nächste Kreuzung oder Einmündung aus anderen Gründen mehr als 30 m hinter dem Aufstellungsort des Zeichens 326 befindet. Eine Fallgestaltung, bei der sich das aus § 10 StVO folgende Gebot aktualisieren kann, liegt dann nicht vor. Die in der Verwaltungsvorschrift zu § 42 Abs. 4a StVO angegebene Entfernung von 30 m erscheint dem erkennenden Senat als brauchbarer Anhaltspunkt, um für den Regelfall den örtlichen Bereich der Pflichten zu begrenzen, die sich beim Verlassen eines verkehrsberuhigten Bereichs ergeben. Es stellt für einen durchschnittlichen Kraftfahrer auch keine Überforderung dar, sich über diese Entfernung zu merken, dass er einen verkehrsberuhigten Bereich verlassen hat, und entsprechend vorsichtig zu fahren.

 

Rz. 166

Auch aus den örtlichen Umständen kann sich ergeben, dass die Verhaltensanforderungen des § 10 StVO im Bereich der nächsten Einmündung oder Kreuzung nicht gelten. Auch wenn das Zeichen 326 im 30-m-Bereich aufgestellt ist, kann sich aus dem Ausbau oder der Gestaltung des nachfolgenden Straßenabschnitts ergeben, dass der Kraftfahrer bereits unmittelbar nach dem Passieren des Schildes wieder in den laufenden Verkehr integriert wird. ...

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